Den meisten wird das Wort Jesu „Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon“ (Mt 6,24) noch geläufig sein. Dennoch werden nur wenige unsere kapitalistische Wirtschaftsordnung mit Gott und der Heiligen Schrift in Verbindung bringen. Dafür klaffen unsere Geschäftswelt und die Sonntagswelt mit einer eventuell noch Gott gewidmeten Stunde zu weit auseinander. In unserer franziskanischen Tradition gehörte all dies noch zusammen. Die Lebensform der Brüder und Schwestern war von Franziskus und Klara in der Nachfolge Jesu Christi in besonderer Weise im Wort der Heiligen Schrift begründet. Die Schrift – als Geist und Leben gebend verstanden – formte den Alltag. Dem Ordensvater folgend wurde allerdings nicht der Schrifttext im Sinne der damaligen Schultheologie interpretiert, vielmehr wurden die Herausforderungen des Alltags im Lichte der Schriftlesung gedeutet. So wurden auch im Blick auf die wirtschaftlichen Probleme biblische Texte gelesen, und diese inspirierten das Suchen nach den ethischen Grundlagen des ökonomischen Handelns.
Allein aus den ersten 250 Jahren der „Franziskanischen Bewegung“ sind uns 250 Schriften von 20 Franziskanern überliefert, die sich mit dem Zusammenhang zwischen biblischen Ratschlägen und dem sozial-ökonomischen Leben auseinandersetzen. Ausgangspunkt war das von Franziskus überlieferte Gottesbild als dem höchsten Gut, in Verbindung mit der von ihm gelebten universalen Geschwisterlichkeit. Ganz „franziskanisch-klarianisch“ wurde dies auf der Basis menschlich-spiritueller Erfahrung und philosophisch-theologischer Reflexion bedacht. Gott als das höchste Gut wird in seiner Uneigennützigkeit, seiner Freigebigkeit und Güte wahrgenommen, und zwar konkret in der Schöpfung, die, wie Franziskus singt, „uns ernährt und lenkt“. Durch Gott in der Schöpfung uneigennützig und freigebig beschenkt zu sein, ist die menschlich-spirituelle Grunderfahrung der ersten Generationen von Brüdern und Schwestern und prägte ihr Selbstverständnis.
Dieses Beschenktsein gipfelt in der Gabe und Hingabe des „ersehnenswerten Bruders Jesus Christus“, in dessen Menschwerdung die universale Geschwisterlichkeit gründet. Aus der Dankbarkeit für diese Gaben erwachsen die drei Grundpfeiler der franziskanischen Lebensgestaltung: das Gute, die Uneigennützigkeit verbunden mit der Freigebigkeit und die Geschwisterlichkeit. Diese werden dann auch zu Eckpfeilern der von den Franziskanern Alexander von Hales, Bonaventura, Petrus Johannis Olivi, Johannes Duns Skotus, Bernhardin von Siena und anderen vermittelten Ethik und Wirtschaftslehre.
Universelles Allgemeinwohl: Ziel des Wirtschaftens
Angesichts der Herausforderung, dem expandierenden Marktgeschehen einen ethischen Rahmen zu geben, wird das Gottes- und Menschenbild auch im wirtschaftlichen Handeln zum Ausdruck gebracht. So wie Gott, das höchste Gut, in seiner „Heils-Ökonomie“ das ganzheitliche Wohl des Menschen mit der ganzen Schöpfung in einer Heilsgeschichte verwirklicht, soll das menschliche Wirtschaften, gleichsam als Spiegelbild, das Gute, im Sinne des umfassenden Wohles der Menschen und ihrer Mitwelt, zum Ziel haben. Daher dient das Marktgeschehen der Verbindung des individuellen Wohls mit dem Allgemeinwohl. Es geht folglich nicht in erster Linie um die Erzielung privater monetärer Gewinne, sondern um die Erwirtschaftung einer allgemeinen zukunftsträchtigen Lebensqualität; zu der Wohlstand, Gesundheit, Friede ebenso gehören wie Zufriedenheit, Freude an der Kunst und an der Schöpfung.
Dem zugrunde liegt ein erweiterter Kapitalbegriff: Nicht nur Geld und Immobilien werden als Kapital angesehen; zum Kapital zählt alles, was das Leben lebenswert macht und die Ausrichtung der Individuen und der Gesellschaft auf das Allgemeinwohl und im Letzten auf Gott, das höchste Gut, fördert.
Zum ersten Mal in der Geschichte wurde durch den Franziskaner Petrus Johannis Olivi der Begriff des Kapitals genauer definiert. Kapital ist der Gebrauch des Geldes im Zusammenspiel mit Arbeitsleistung, Bildung, Ressourcen, Zeitaufwand …, um einen potenziellen Gewinn in der Zukunft zu erwirtschaften, der wieder eingesetzt wird, um den allgemeinen Wohlstand zu fördern, Arbeitsplätze zu schaffen und eine lebenswerte Zukunft zu sichern.
Ein solcher Kapitaleinsatz setzt jene Haltung der Freigebigkeit voraus, die nicht nur an sich selbst denkt, vielmehr den eigenen Gewinn in verantwortlicher, uneigennütziger Weise zum Wohl aller Mitlebenden erwirtschaftet und wieder einsetzt. Ein solches Tun ist die dem freien Individuum geziemende Denk- und Handlungsweise, die das wirtschaftliche Handeln zu einem wichtigen Element der Gestaltung einer universalen Geschwisterlichkeit werden lässt. Der Glaube dieser Franziskus und Klara folgenden Generationen wurde so zur gestalterischen Kraft der aufblühenden mittelalterlichen Wirtschaft.
In der Nachfolge des Ordensvaters Franziskus und dessen Hören auf das Wort der Heiligen Schrift wurden von den mit der Wirtschaftsethik beschäftigten Brüdern konkrete Bibeltexte auf die Herausforderung des Marktgeschehens hin ausgelegt. Dabei standen besonders Texte aus dem Lukasevangelium im Mittelpunkt. Ein Schwerpunkt wurde auf die Interpretation von Reichtum und Besitz durch die Erzählung vom „Reichen und dem armen Lazarus“ gelegt (Lk 16,19–33). Aus diesem Text wurde die soziale Verpflichtung des Reichtums abgeleitet und verdeutlicht, dass die Art und Weise des Umgangs mit Geld und Besitz in dieser Welt eine Voraussetzung für die Erlösung ist.
Eine Haltung der Genügsamkeit und die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit
Diese soziale Verpflichtung des Reichtums erschöpft sich nicht im Almosengeben. Vielmehr muss dem Armen Name und damit Würde sowie eine Lebensgrundlage gegeben werden. Die Verwendung des Geldes wurde dann im Lichte der Parabel vom anvertrauten Geld (Lk 19,11–27) beleuchtet. Wem Geldvermögen anvertraut ist, der darf dieses nicht vergraben, sprich: nicht horten. Das Geld muss zum Fortschritt aller zirkulieren, das heißt den Handel beleben, um Arbeitsplätze zu schaffen und den allgemeinen Wohlstand zu fördern. Dass Geld und andere Vermögenswerte nicht gehortet werden dürfen, wurde auch durch das Zitat aus dem Matthäusevangelium (6,19–21) „Sammelt Euch nicht Schätze hier auf der Erde, wo Motte und Wurm sie zerstören …, sondern sammelt euch Schätze im Himmel“ unterstrichen. Durch die Schriftlesung und -interpretation kristallisierte sich immer mehr eine Haltung der Genügsamkeit heraus, die im Gegensatz zu unnötigem Überfluss, Luxus auf Kosten anderer und der Verschwendung von Gütern und Ressourcen stand. Eine Lebensweise der gelobten Armut für die Ordensbrüder und -schwestern sowie der Genügsamkeit für die „Weltleute“ wurde unter anderem aus der Aussendung der Jünger als Friedensboten ohne Geld- und Vorratstasche (Lk 10,1–9; Mt 10,5–15) hergeleitet.
Ein Lebenswandel der Genügsamkeit wurde als Grundlage des sozialen Friedens betrachtet, da die Erfahrung zeigte, dass die private Anhäufung von Überfluss zu Neid, Streit und auch zu Kriegen führen konnte. Als größte Gefahr und Ausdruck der menschlichen Ursünde wurden daher Profit- und Raffgier angesehen; vor allem auch wenn sich solche Gier unter einem spirituellen, religiösen Deckmantel verbarg.
Einen Lebensstil der Genügsamkeit zu verwirklichen, wurde als grundlegende Lebensform der auf Franziskus und Klara zurückgehenden „Minoritas“ angesehen. Durch die Genügsamkeit sollte die Mahnung des Franziskus, „das Geld Gottes“ (gemeint sind die materiellen und spirituellen Gaben, durch die die Menschen beschenkt werden und die das Leben erhalten) in Dankbarkeit zurückzuerstatten, verwirklicht werden. Diese Genügsamkeit verband sich, wiederum auf der Basis biblischer Texte, mit sozialen Forderungen. Eine der wichtigsten war die Forderung nach einer gerechten und angemessenen Bezahlung der Arbeit. Der Lohn oder das Entgelt für eine geleistete Arbeit sollte einen würdigen Lebensstandard eines Arbeiters und seiner Familie ermöglichen. Daher war eine entsprechende Entlohnung bei der Preis- und Gewinnkalkulation zu berücksichtigen. Biblisch begründet wurde dies mit dem Wort Jesu aus der Sendungsrede: „Denn, wer arbeitet hat ein Recht auf seinen Lohn“ (Lk 10,7; Mt 10,10).
Darüber hinaus sollte den Armen ermöglicht werden, nicht nur auf Almosen angewiesen zu sein, sondern sich selbst ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. So wurde das Almosengeben der Reichen zwar als karitative Geste gewürdigt, aber durchaus kritisch gesehen. Wiederum war es ein biblischer Text – die geringe Gabe der Reichen aus ihrem Überfluss und die großzügige Gabe der armen Witwe (Lk 21,1–4) –, der die kritische Betrachtung von Almosen begründete. Almosen mögen den momentanen Hunger stillen, aber sie verändern nicht die ungerechte soziale Situation. Doch gerade darum ging es, im Hören auf das Wort Gottes die soziale Gerechtigkeit durch entsprechende ethische Regeln des Wirtschaftens zu verwirklichen.
Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Franziskaner, Sommer 2023
Der Beitrag über den Begriff des Kapitals und seine Erfindung hat mich sehr angesprochen, insbesondere dieVerpflichtungaufdasAllgemeinwohl. Ein bereits verstorbener Freund hat in seiner Magisterarbeit die Benediktinerregeln auf das Wirtschaften bezogen. Gibt es Ähnliches von den Franziskanern und ihren Grundsätzen?