07.07.2023 Bruder René Walke

Freiverantwortlichkeit

<> Der Kommentar der Woche

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder René Walke

Als Krankenpfleger, als Seelsorger und als Sohn habe ich Menschen beim Sterben begleitet – umgeben vom großen Familienkreis und auch komplett alleine. Als mein Vater im Sterben lag, hatten wir das Glück, dass auf der Palliativstation ein Bett frei wurde. Dort darf man sterben. An anderen Orten muss man. Wir wurden vom Pflegepersonal und von ärztlicher Seite als Familie aufgenommen. Sie waren allesamt ExpertInnen, hatten auf unsere Fragen Antworten. Auf die Frage meiner Mutter, ob mein Vater vielleicht Schmerzen habe, weil er so unruhig sei, antwortet eine Ärztin: „Er ist optimal mit Medikamenten versorgt. Das Sterben ist wie eine zweite Geburt: Da gibt es Wehen, die Medikamente nicht nehmen können.“

Von den Diskussionen um gesetzliche Regelungen zur Suizidassistenz wünsche ich mir auch, dass das Thema Tod und Sterben einen lebendigen Raum in unserer Gesellschaft bekommt. Ich hoffe auch, dass sie dazu beiträgt, dass Menschen nicht im Schatten von Illegalität sterben, bzw. um ihre Helfer fürchten müssen und dass die Notwendigkeit eines deutlichen Ausbaus von Hospizen und Palliativstationen mit in den Blick kommt. Immer wieder habe ich dort wunderbare Erfahrungen im Umgang mit dem Sterben gemacht. Dies sollte nicht vom Glück eines freien Platzes abhängig sein, sondern jeder und jedem Sterbenden mit seinen Angehörigen zur Verfügung stehen.

Die geforderte Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches beinhaltet für mich auch die Freiverantwortlichkeit des Wunsches auf ein gut begleitetes Sterben. Beim Suizidwunsch hilft u.a. das Medikament, diese Welt zu verlassen. Beim Hospiz ist es für mich der Ort, der mir hilft und an dem ich lerne, loszulassen. Vielleicht ist eine Kombination denkbar, ähnlich wie bei meinem Vater: Mit Medikamenten war er gut versorgt und er hatte einen Ort, an dem er gut begleitet gehen durfte. Es wird vermutlich keine einfache und eindeutige Lösung geben, ich sehe auch bei meinem Vorschlag blinde Flecken.

Neben der Hoffnung auf das Ewige Leben und das Wiedersehen in Freiheit und vollkommener Gemeinschaft, wie Jesus es verheißt, nehmen mir die Erfahrungen auf Palliativstationen und in Hospizen einen Großteil der Angst vor dem Sterben.


Der Blick zurück, der Blick nach vorn, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
Immer freitags auf franziskaner.de


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