Bernd Schmies / Fachstelle Franziskanische Forschung

Bleibende Bedeutung

Begegnung von Bruder Franziskus und Sultan al-Kamil

Franziksus predigt das Evangelium im Lager des Sultans. Bildausschnitt aus der Bardi-Tafel in der Franziskanerkirche Santa Croce in Florenz.

Vor nunmehr 800 Jahren, im Spätsommer des Jahres 1219, traf Franziskus von Assisi den Sultan al-Kamil Muhammad al-Malik. Dieser empfing ihn in seiner vom Kreuzfahrerheer belagerten Festung Damiette im Nildelta in Ägypten. Was die beiden dort miteinander besprachen, wissen wir nicht wirklich und das Gespräch führte auch zu keinen uns bekannten konkreten Ergebnissen.

So fehlen zwar direkte Zeugnisse von Teilnehmern an der Begegnung, dennoch berichten Chronisten des Kreuzzugs sowie erst recht franziskanische Geschichtsschreiber mit Erstaunen über das Zusammentreffen dieser beiden vordergründig so unterschiedlichen Persönlichkeiten: Da ist einerseits der Arme aus Assisi, Sohn einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, der nach einer ausschweifenden Jugend eine tiefe Sinnkrise durchlebte. Durch einen radikalen Wandel fand er zu einem religiösen Leben in Armut, Buße und Verkündigung. Und auf der anderen Seite ist der mächtige Sultan al-Kamil aus der Herrscherfamilie der Ayyubiden, ein Neffe des berühmten Saladin und seit 1218 Sultan in Ägypten.

Unterschiedlicher können Lebenswege kaum sein, doch müssen die beiden Gleichaltrigen auf einer persönlichen, vielleicht auch charakterlichen Ebene Gemeinsamkeiten gefunden haben. Denn sonst hätten sie sich wohl nicht kennengelernt und wäre der Ausgang des Treffens für Franziskus wahrscheinlich ein anderer gewesen.

Ein gutes Maß an Respekt und sogar Interesse an der Religion des jeweils anderen darf denn auch nicht allein Franziskus, sondern ebenso seinem Dialogpartner Sultan al-Kamil zugesprochen werden. Das sind keineswegs Selbstverständlichkeiten angesichts der von Gewalt sowie politischen und religiösen Feindschaften geprägten Umstände, unter denen sie zusammentrafen.

Exklusiv für Christen

Es herrschte Krieg im Vorderen Orient, nach der klassischen abendländisch-christlichen Tradition der Fünfte Kreuzzug, zu dem Papst Innozenz III. 1213 aufgerufen hatte. Für Innozenz, von dem Franziskus und seine 1209 noch kleine Gemeinschaft von Brüdern die mündliche Erlaubnis zur lebenspraktischen Laienpredigt erreicht hatten, war der Kreuzzug ein persönliches Anliegen. Er hatte das Ziel, Jerusalem nach dem Verlust von 1187 wieder unter christliche Herrschaft zu bekommen und so die dortigen Heiligen Stätten – allen voran die Grabeskirche – den christlichen Pilgern exklusiv und uneingeschränkt zu öffnen. Den Kreuzzug selbst erlebte Innozenz indes nicht mehr. Er starb 1216, noch bevor sich 1217 die Kreuzfahrer nach Akkon in Palästina einschifften und mit ihren Versuchen gescheitert waren, die Heiligen Stätten auf direktem Weg einzunehmen.

Stattdessen zog das christliche Heer, zu dem beispielsweise auch Kreuzfahrer aus Friesland und vom Niederrhein zählten, nach Ägypten. Der Plan war, dort zunächst erfolgreich gegen das Heer des Sultans zu kämpfen und anschließend leichter Jerusalem zu erobern. So begann die insgesamt 18 Monate dauernde Belagerung der Hafenstadt Damiette. Während sich im Lager der Kreuzfahrer der König von Jerusalem, Johann von Brienne, und der päpstliche Legat, Kardinal Pelagius von Albano, um die Führung stritten, breiteten sich in der Stadt Hunger und Krankheiten aus. In dieser Situation traf Franziskus im Sommer 1219 im Lager der Kreuzfahrer ein. Endlich – denn er war bereits mehrmals daran gescheitert, jenseits der Grenzen der Lateinischen Kirche seine Botschaft des Evangeliums allen Menschen ohne Unterschied zu verkünden.

Universelles Evangelium

Als 1217 Kardinal Hugo sich Franziskus in Florenz in den Weg stellte, soll er dem späteren Papst Gregor IX. entgegnet haben: „Herr, meint oder glaubt Ihr, der Herr habe die Brüder nur um dieser Gegenden willen ausgesandt? Aber ich sage Euch in Wahrheit, der Herr hat die Brüder zum Nutzen und Heil der Seelen aller Menschen auf der ganzen Welt erwählt und gesandt; und so werden sie nicht nur im Land der Gläubigen, sondern auch der Ungläubigen aufgenommen werden.“

Als Minderbruder fügte sich Franziskus gehorsam dem Kardinal, änderte allerdings keineswegs seine Überzeugung einer universellen Mission. Er verfolgte beharrlich seine Pläne weiter. Nach dem Pfingstkapitel 1219 in Assisi machte er sich zusammen mit Bruder Petrus Catanii sowie einem weiteren Mitbruder erneut auf ins Heilige Land. Sie reisten nicht als Kreuzfahrer, sondern als Pilger.

Bei ihrer Ankunft erwartete sie Bruder Elias, den Franziskus zum Minister der Provinz „ultra mare“, also jenseits des Meeres bestimmt hatte. Von Elias über die aktuellen Ereignisse im Heiligen Land informiert, ging Franziskus unverzüglich nach Ägypten und erlebte zuerst die Wirklichkeit eines Heerlagers, die nur wenig mit dem Ideal des christlichen Ritters gemein hatte. Dieser sollte im Namen Gottes sein Heil und das der unbewaffneten christlichen Pilger im Heiligen Land verteidigen. Vielmehr aber beobachtete Franziskus dort Ritter, Söldner, Händler, Sklaven, Ehefrauen und Prostituierte, die einen Krieg führten, der ihnen machtpolitische oder materielle Vorteile versprach oder einfach nur zum Abenteuer gereichte.

Friedensangebot

Religiöse Motive spielten über 100 Jahre nach Beginn des Ersten Kreuzzugs bei der Mehrzahl der Kriegsteilnehmer eine nachgeordnete Rolle. Deshalb verwundert es auch nicht, dass Franziskus mit seinem Anliegen, zu den Muslimen ins Feindeslager zu gehen und sie vom christlichen Glauben zu überzeugen, auf Unverständnis und offene Ablehnung stieß. Jedenfalls verweigerte der Kardinal Legat Pelagius Franziskus die Zustimmung zu seinem Vorhaben. Zuvor hatte er schon ein großzügiges Friedensangebot von Sultan al-Kamil, das den Christen sogar Jerusalem überlassen hätte, starrsinnig ausgeschlagen.

Franziskus, wohl wissend um die Gefahr des Martyriums, unternahm vermutlich gemeinsam mit Bruder Illuminatus trotzdem seine „Friedensmission“. Was dann geschah, darüber berichtet zuerst der im Heerlager anwesende Bischof von Akkon, Jakob von Vitry, in einem Brief an Papst Honorius III. im Frühjahr 1220: „In seinem Eifer für den Glauben ließ er [Franziskus] sich nicht davon abhalten, in das Heer unserer Feinde hinüber zu gehen. Obwohl er den Sarazenen während mehrerer Tage das Wort Gottes predigte, richtete er nur wenig aus. Doch der Sultan, der König von Ägypten, bat ihn insgeheim, für ihn zum Herrn zu beten, damit er auf göttliche Erleuchtung hin derjenigen Religion anhangen könne, die Gott mehr gefalle.“

Diese knappe Schilderung erfuhr durch Jakob selbst und weitere Chronisten, aber vor allem auch in der franziskanischen Geschichtsschreibung seit Thomas von Celano rasch neue Details und Ausschmückungen. Diese gehören zumindest in Teilen dem Reich der Legende an oder sind Interpretationen, die dem jeweiligen Zeitgeist entsprachen – und das bis heute. Auf diese Weise hat sich das Ereignis über 800 Jahre im kollektiven Gedächtnis des Ordens und darüber hinaus erhalten. Und es ist vielfach festgehalten in literarischen Texten, Bildern und Skulpturen, der Musik und bereits seit 1918 auch im Film.

Multikulturelle Region

Schließlich ist aus historischer Perspektive unbedingt anzumerken: Der Kreuzzug des Pelagius endete 1221 desaströs. Erst der vom Papst gebannte Kaiser Friedrich II. handelte 1229 mit Sultan al-Kamil einen befristeten Frieden aus, ohne dauerhaft die Existenz der Kreuzfahrerherrschaften im Vorderen Orient sichern zu können. Diese endete 1291. Die Präsenz der Franziskaner blieb indessen wohl auch infolge der Begegnung des Franziskus mit dem Sultan bestehen – in einer multireligiösen wie multikulturellen Grenzregion bis in unsere Gegenwart.

Erstveröffentlichung Zeitschrift Franziskanermission 2019 / 1


Der Autor Bernd Schmies ist Historiker und Geschäftsführer der „Fachstelle Franziskanische Forschung“ in Münster.


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