Stefan Federbusch ofm / Buchrezension

Gottes hauchdünnes Schweigen

Auf seine Stimme hören

Gottes hauchdünnes Schweigen. Auf seine Stimme hören. Buchreihe Franziskanische Akzente, Band 20, Hrgb. Mirjam Schambeck und Helmut Schlegel.

Wenn ein Sprachkünstler etwas über Sprache schreibt, dann kann die/der Lesende sicher sein, dass es eine spannende und bereichernde Lektüre wird. Wilhelm Bruners ist ein solcher Sprachkünstler und seine Überlegungen zum Sprechen über Gott sind der Lektüre wert.

Bruners beschreibt seine Intention so: „Die folgenden Überlegungen gehen der Frage nach, wie heute von Gott zu reden ist, wenn er denn in der Kollektiverinnerung bleiben soll und nicht aus der Sprache verschwindet. Ist Gott sprachlich noch zu retten?“ (8) Die Perspektive wird jedoch sogleich verändert in die Frage: „Wie redet Gott heute den Menschen an, um in seiner Schöpfung und auch Kirche von den Menschen wahrgenommen zu werden? Welche Sprache muss der Mensch lernen, wenn er Gott hören und verstehen will?“ (9). Um die Antwort ein Stück vorweg zu nehmen: „Gott „versteckt“ sich nicht nur in der Hochsprache der Liturgien, der Theologien, der Literatur, der Lyrik, sondern auch in der Banalität der Alltagssprache“ (71).

An dieser Stelle könnte man vermuten, dass der Autor vorrangig auf eine moderne Anthropologie und Psychologie bzw. auf Pastoralpsychologie zurückgreift. Doch dem ist nicht so. Wilhelm Bruners setzt im ersten Kapitel biblisch an, um zu verdeutlichen, wie sich Gott selbst zur Sprache bringt. Er entfaltet dies an der Geschichte des Propheten Elija. Mit dem Gottesurteil auf dem Berg Karmel betreibt er ein „für alle entwürdigendes Sieger-Verlierer-Spiel… Ein abstoßendes Narrativ – auch für den Gott Israels… Er bleibt mit seiner Antwort auf der fragwürdigen Ebene eines Religionsvergleichs der Stärke und Überlegenheit“ (17). Bruners bezeichnet eine derartige Auseinandersetzung um den richtigen Gott – welcher Gott denn größer, wahrer und schöner sei – als „Kinderzimmer der Religion“. „Für die Frage nach dem Göttlichen führen diese Streitigkeiten nur in die Irre und kaum weiter. Oder sie führen für die „Verlierer“ sehr oft auf Scheiterhaufen, in Gefängnisse oder ins Exil“ (19). Für die Suche nach der Wahrheit, nach Gott selbst, stellen gewaltsame Auseinandersetzungen in punkto Religion immer blutige Niederlagen dar – „schließlich auch der Gottheit, die sie angeblich verteidigen wollen“.

Die Frage ist also, wie Gottes widerständig-prophetische Stimme aus dem jeweiligen „Kirchenknast“ (Gottfried Bachl) befreit werden kann, damit sie nicht als Sprache der Gewalt und des Todes erklingt, derer sich Elija zunächst bedient. Der Prophet muss die Erfahrung der „Stimme einer hauchdünnen Stille / Stimme eines unhörbaren Lautes“ (27) machen. Im „Atemholen Gottes“ kommt eine „theologia negativa“ zu Wort, wie schon beim Dornbusch (vgl. Ex 3,4-6), die das Machtvolle hinter sich lässt. Sie sucht Gott im hauchdünnen Schweigen, gewissermaßen in der Ohn-Macht, im Nicht der Mystiker/innen… Und sie sucht eigentlich nicht mehr, sie wird heimgesucht. Dieser Nicht-Theologie widerfährt Gottes beredtes Schweigen. Der Mensch ist reiner Empfänger“ (28). Gott geht dann noch weiter. Er startet ein „Entdämonisierungsprogramm“ (Pinchas Lapide), indem er Elija aufträgt, den König des Feindeslandes, Hasael in Damaskus, zu salben. Ein Auftrag, der erst im Raum der Stille, im aufmerksamen Hören, wahrnehmbar ist.

Wie sich dieser Sprachklang Gottes äußert, wird in der Person Jesu erfahrbar, weil er „die Übersetzung des Göttlich-Menschlichen in das konkrete Leben der Menschen seiner Zeit“ (61) ist. Jesus erzählt nicht im „religiösen Sondersprachgewand“ (29). Er erzählt in der Alltagssprache der Menschen. Sein Grundton ist tröstend und befreiend. Jesus nimmt vor allem die Angst. Er kann dies, weil er sich bei seiner Taufe, bei seiner „Adoption“ und „Initiation“ als der „geliebte Sohn“ erfährt. „Geliebt – ist genau das Tat-Wort, das Menschen brauchen, um sich in ihrer Existenz annehmen zu können“ (41). Dieses Tat-Wort spricht Jesus immer wieder Menschen zu, etwa dem Besessenen in der Synagoge von Karfarnaum. Die Synagoge war mit der in ihr herrschenden Angst zu einem „Gottesgrab“ geworden. „Das Dämonische, Diabolische, die Angst musste aus der Synagoge verbannt werden, damit aus dem „Gefängnis“ wieder ein Ort der Freiheit wurde“ (42). Dies könne exemplarisch für alle Gottesräume stehen, für Kirchen sowie Synagogen- und Moscheeräume gleichermaßen, damit die Menschen zur Hoffnung bewegt werden, sie Trost und Ermutigung finden und Platz für ihre Fragen und Zweifel.

Nach dieser gleichermaßen spannenden wie ungewöhnlichen Auslegung schildert Bruners im zweiten Kapitel „Spracherfahrungen mit der Gottrede“. Damit der Mensch Gott versteht, lernt Gott dessen Sprache. „Gott lernt Ägyptisch. Ein pastorales Konzept… Gott spricht menschlich mit dem Menschen“ (46). Bruners ist daher der Meinung, dass Menschen von heute kein „göttliches Kirchenlatein“ mehr lernen müssen. „Heute ist die europäische Kirchen- und Katechismussprache“ für den Glauben „in aller Welt“ eine viel zu hohe und exklusive Hürde geworden, die zu übersteigen die meisten nicht (mehr) bereit sind und auch nicht überwinden müssen“ (47). Gott sei jeder kirchlichen Sprache voraus. Gott spreche in jeder Kultur anders. „Gott ist vielsprachig. Es gibt keine Menschensprache, die er nicht spricht. Dabei ist die Gottessprache immer Menschensprache – auch in den ganz banalen Worten des Alltags…“ (48). Doch selbst unter dieser Prämisse gelte, dass letztlich Gott unserer sprachlichen „Unterwerfung“ entzogen bleibt. Die theologische Sondersprache der Theologen sei eine Exklusivsprache, die Menschen ausschließe und somit eine Machtsprache. Die Sprache Jesu dagegen ist eine Bildsprache. Die heute oft behauptete „Glaubenskrise“ sei eigentlich eine „Kirchenkrise“ bzw. „Kirchenschwindel“ mit den Faktoren „Ämterkrise“ und „Sprachkrise“. Es brauche so etwas wie eine Dialoggemeinschaft zwischen den Verantwortlichen und dem Gottesvolk, in der Suchprozesse tatsächlich gemeinsam stattfinden. „Die Frage des Anfangs stellt sich damit neu: Sind wir bereit, das „Ägyptisch“ unserer Zeit, die Alltagssprachen der meisten Menschen, zu lernen, um daraus die immerwährende Rede Gottes, die göttlichen Dialekte an uns zu vernehmen?“ (53).

In dieser göttlichen Sprachschule gilt es zu lernen, „die Welt und das Tägliche nicht zum großen Gegner Gottes abzuwerten oder als buchstäblich nichtssagend zu verurteilen. Es gilt, Gottes Ansprache, sein Atemholen herauszufiltern“ (65-66). Ein Atemholen, das sich am Sinai laut ei-ner jüdisch-spirituellen Überlieferung nur in einem „Knacklaut“ geäußert hat. Es gilt zu hören. Bruners verweist darauf, dass das betende Judentum den Tag beginnt mit dem Sch´ma Israel = „Höre Israel“ (und im Gegensatz zum Christentum erst am Abend bittet: „Herr, öffne meine Lippen“). Dies ist nicht leicht und braucht Zeit, wie auch Gott sich Zeit nahm für sein Volk, für Jesus, für nichtjüdische Menschen. Wilhelm Bruners bringt es in ein anschauliches Bild: „Der religiös suchende Mensch müsste der Welt, auch einer „Schrott-Welt“, wie eine Künstlerin, ein Künstler begegnen: Sie böte sich ihm dar als Material verwandelnder Gestaltung – pädagogisch, bildnerisch, musikalisch, literarisch: „Christi Platz ist bei den Dichtern“, schreibt Oscar Wilde in einem Aphorismus“ (66-67). Die göttliche Sprachschule sensibilisiert für „ungewöhnliche und unvermutete Hör- und Seh-Widerfahrnisse“, für den „Hilfeschrei aus den „Reparaturwerkstätten“ unserer aus den Fugen geratenen Zeit“ (67). Gott spricht zur Welt durch die Gekreuzigten. Daher hat Jesus den „Frauen und Männern, die ihm nachgefolgt sind, die Sorge um die Beraubten und Geschlagenen der Welt anvertraut“ (69). Bruners plädiert somit für eine „Sprachaufmerksamkeit“ (72), weil die „Lieblingsverstecke Gottes“ vor allem Orte sind, „an denen Kreuze aufgestellt sind“ (75). Daher sieht der Autor auch die Diakonia, diesen „Außendienst“ als den wichtigsten jesuanischen und damit wichtigsten göttlichen Auftrag an. Eine kirchliche Erneuerung – auch der Liturgie – müsste von diesem „Draußen“ nach innen erfolgen. Es geht um eine „Liturgie des gelebten Lebens und der unabgegoltenen Hoffnung auf den hin, der mit der Vollendung seiner Vision noch aussteht. Einer Vision, die draußen gelebt und innen zur Sprache gebracht und gefeiert wird – und nicht umgekehrt“ (76). Dies bedeutet, die Grenze von Profanem und Sakralen zu überwinden, weil Jesus sie überwunden und nicht akzeptiert habe. Auch im Österlichen wird dies deutlich. Die Engel schicken die Jünger zurück nach Galiläa, zurück in ihren Alltag. Dorthin ist der Auferstandene ihnen vorausgegangen. Dort wird er ihnen begegnen.

Dann kann gelingen, womit das Vorwort beginnt: „Und es braucht eine neue Sprache für den Glauben. Eine Sprache, die sich nach Erde anfühlt, die nach dem Schweiß der Angst und der Arbeit riecht, eine Sprache mit dem Geschmack allen Glücks und aller Bitterkeit der Welt, die heutig klingt und die Augen öffnet für Gottes Welt – und was ihr entgegen steht“ (Peter Hundertmark) (8).

Das Kirchenbild, das der Autor hier beschreibt, werden nicht alle teilen. Wenn es in der franziskanischen Lebensweise und Spiritualität heißt: „Unser Kloster ist die Welt“ und den Franziska-nern in der Regel Volksnähe nachgesagt wird, dann ist es nicht schwer, den Ansatz von Wilhelm Bruners als „franziskanisch“ zu bezeichnen. Es kann auch gar nicht anders sein, denn fran-ziskanisch heißt immer, auf das Evangelium bezogen und somit auf das Handeln Jesu. Im Nachwort blitzt noch ein explizit franziskanischer Bezug auf, wenn der Autor es als große Aufgabe der Kirche sieht, den „prophetischen Stimmen einen Resonanzraum zu schaffen, die prophetischen Menschen vor Schaden zu bewahren, wie es einst der Bischof von Assisi und der Bischof von Rom bei Giovanni Battista Bernardone, dem hl. Franziskus taten… Erfüllt sie diesen Auftrag nicht, bestraft sie gar die biblisch-kritischen Stimmen in ihr mit Missachtung oder Ausschluss, dann verrät sie ihr eigenes Evangelium. Und sie betrügt die Welt um eine Stimme, die jede Zeit unbedingt braucht, um göttlich zu atmen und menschlich zu handeln“ (80).

Ein Werk, das auf inspirierende Weise anregt, über das eigene Sprechen von Gott nachzudenken und im jesuanischen Sinn die Sprache Gottes, die Alltagssprache der Menschen, einzuüben.


Zum Autor

Wilhelm Bruners, geboren 1940, Dr. theol. wurde zum Priester geweiht und war bis 1979 im Seelsorgedienst im Bistum Aachen tätig. Von 1967 bis 1979 war er Dozent beim Theologisch-Pastoralen Institut Mainz, danach bis 2005 in Israel bzw. Jerusalem und zuletzt Leiter der Bibel-pastoralen Arbeitsstelle des Katholischen Bibelwerks Österreichs in Jerusalem. Wilhelm Bruners lebt seit 2006 in Mönchengladbach als Exerzitienbegleiter und religiöser Lyriker.

Produktinformation

  • Gebundene Ausgabe: 100 Seiten
  • Verlag: Echter; Auflage: 1 (1. März 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3429053803
  • ISBN-13: 978-3429053802
  • Preis: 9,90.- Euro

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