Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.
In den letzten zwei Wochen wurde viel über die Flugblattaffäre von Hubert Aiwanger berichtet und wahrscheinlich wird die Berichterstattung auch nicht so schnell verstummen.
Fünf Wochen vor der Landtagswahl in Bayern tauchen auf einmal Berichte über Flugblätter auf, die vor 36 Jahren in der Schultasche von Hubert Aiwanger, dem Vize-Ministerpräsidenten von Bayern und dem Spitzenkandidaten der Freien Wähler, gefunden wurden.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt und es in Zusammenhang mit dem Wahlkampf sieht. Aber das ist nur die eine Seite dieser Geschichte. Denn der Inhalt der Flugblätter ist sehr brisant. Sie enthalten antisemitische Parolen und das sollte in keinem Fall unter dem Deckmantel einer Beeinflussung im Wahlkampf vom Tisch gewischt werden.
Die Vorwürfe sind da, Hubert Aiwanger hat versucht, sie zu entkräften, und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat von ihm die Beantwortung eines Fragenkatalogs gefordert. Nach dem Lesen der Antworten hat er Hubert Aiwanger im Amt belassen. Damit hat er sein Schicksal an das Schicksal Aiwangers gebunden. Ich bezweifle, dass mit dieser Entscheidung Ruhe einkehrt, und das zeigen ja auch die Berichte der letzten Tage.
Die Antworten auf die Fragen haben mich nicht überzeugt. Kann man sich wirklich an solch ein Ereignis, das auch bereits in der Schule Konsequenzen nach sich gezogen hat, wie das Ausräumen des Ranzens im Sekretariat, nicht mehr erinnern? Wie ist es zu bewerten, dass sich der Bruder von Hubert Aiwanger erst nach Tagen des Schweigens äußert und gesteht, dass er für den Inhalt der Flugblätter verantwortlich ist? Wie kommen die Flugblätter aber in den Schulranzen von Hubert Aiwanger? Also scheint er sich doch an der Verteilung beteiligt und damit das Flugblatt und seinen Inhalt unterstützt zu haben. Mitgefangen, mitgehangen.
Eines ist für mich sicher: Das kann nicht als Störfeuer im Wahlkampf und als Jugendsünde abgestempelt werden. Der Umgang von Hubert Aiwanger und Markus Söder hat vor allem Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Politik und ihre Beteiligten zerstört.
Der Blick zurück, der Blick nach vorn, und der Blick nach innen.
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Nach dem Ende der Naziherrschaft hatte Deutschland ein demokratisches System eingeführt, dass diesen Namen auch wirklich verdient. Seitdem sind über 70 Jahre vergangen. Und auch wenn die Amerikaner Pate standen, so können die Deutschen froh sein, dass sie nicht das gleiche – und inzwischen mehr als fragwürdige – amerikanische System der „Zwei-Parteien-Demokratie“ übernommen haben. Die Parteienlandschaft hat sich seitdem verändert, es besteht eine grosse Wahlmöglichkeit in diesem Parteienspektrum. Und trotzdem: Die Wahlen werden immer noch unter den grossen Parteien entschieden, der SPD und der CDU. Die FDP agiert dabei aus reinem Machtkalkül oft genug als Zünglein an der Waage. Ich erinnere mich da noch sehr gut an den Tag, als dank der FDP der bis dahin (meiner persönlichen Meinung nach) beste Bundeskanzler Deutschlands, Helmut Schmidt, aus dem Amt torpediert worden ist. Heute gibt es sogar zwei solcher „Fähnlein im Wind“, denn die Grünen agieren gleich wie die FDP. Nein, dies ist kein politischer Rundumschlag oder eine Abrechnung mit den Gegnern der SPD. Ich möchte auf etwas ganz anderes hinaus. In diesen etwa 70 Jahren haben die politischen Ränkespiele (die es auch im Vatikan gibt!) und auch die Korruption zugenommen.
KPD und NPD wurden zwar verboten, doch heute ist braunes Gedankengut schon fast wieder gesellschaftsfähig geworden, noch gut getarnt und unter so harmlos klingenden Namen wie „Alternative für Deutschland“ oder „Freie Wähler“. Nach Gauweiler, ebenfalls in Bayern, ist Aiwanger nun der nächste mit demokratischer Oberbekleidung und brauner Unterwäsche. Dass Söder als bayerischer Ministerpräsident nicht konsequent die fragliche politische Karriere Aiwangers beendet – Fragenkatalog hin oder her, ist beschämend. Nicht umsonst heisst es: „Wehret den Anfängen!“. Adolf Hitler hat sich nicht an die Macht geputscht, er kam mittels der damals gültigen demokratischen Spielregeln ins Amt. Wo auch immer AfD und Freie Wähler in einem Parlament, sei es in einem Stadtrat oder einem Landesparlament, vertreten sind, haben sie bereits einen Fuss in der Tür. Man kann, nein, man muss mit Sorge auf die weitere Entwicklung in Deutschland blicken. Der Rechtspopulismus ist auf dem Vormarsch, man schaue nur auf Polen, Ungarn, Italien usw. Und damit finde ich auch den Bogen zur Kirche. Denn auch hier erstarkt der Konservatismus mit seinen menschenunterdrückenden und menschenverachtenden Ideen. Möge Gott uns alle davor bewahren, dass wir wieder in eine Zeit und Welt hinschlittern, in denen bestimmte Menschen mit gelben Sternen oder rosa Winkeln gekennzeichnet werden.
Auch der Psalmist kennt die Vergebungsbitte, der Sünden seiner Jugend nicht mehr zu gedenken, und jedem, der solches mitspricht, wird sicherlich schon das ein oder andere einfallen. Allerdings ist in diesem Kontext immer auch die tätige Reue vorauszusetzen, an der es mir bei diesem Politspektakel zu fehlen scheint. Aiwangers Antworten auf den Söderschen Fragenkatalog verdienen diesen Namen nicht und die Chance, „reinen Tisch“ zu machen, ist auf diese Weise vertan worden. Das hat der Glaubwürdigkeit beider unendlich geschadet. Also alles in allem: Macht geht vor Moral! Das macht es für mich als Religionslehrerin nicht einfacher, im Unterricht auf brennende Zeitfragen einzugehen. Aber die Erziehung der Jugend und die Vorbildfunktion der Erwachsenen scheint in der mentalen Welt solcher Politiker überhaupt nicht vorzukommen. Ich danke dem P. Johannes Roth, dass er zumindest den Finger in diese Wunde gelegt hat.
Danke für den Kommentar „Nur eine Jugendsünde“, Bruder Johannes.
Manch einer wird sicher reagieren und sagen „Ja, aber! … das war vor 36 Jahren, der Mann darf sich doch geändert und geläutert haben!“
Absolut korrekt. Unser ganzes Rechtssystem beruht auf dem Verständnis, dass Verbrechen gesühnt, Sünden vergeben und Dummheiten vergessen werden sollten und jeder eine weitere Chance bekommt.
Was mich stört, ist, dass Herr Aiwanger hier sehr unglaubwürdig reagiert hat. Er hätte dazu stehen, und sich geläutert zeigen können. Sicher hat er doch seine Dummheit von damals mittlerweile in konkrete Politik umgemünzt und arbeitet an einem menschlichen Miteinander für alle?
Sein Reflex war aber rasch eine Opfer-Umkehr. Das hätte ich genauso von Donald Trump erwartet: „Ist doch alles nur eine aufgeblasene Hexenjagd der Opposition und der Presse auf einen rechtschaffenen Politiker.“ Wollen wir es uns denn so einfach machen?