Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren die Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.
„Wie hältst du’s mit der AfD?“ Diese Frage beschäftigt viele im Land. Auch unsere Bischöfe. Gott sei Dank. Am Ende der Frühjahrsvollversammlung gab es eine Positionierung, die kaum klarer hätte sein können: Unter ausdrücklicher Nennung der AfD heißt es: „Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar.“
Und dabei geht es nicht um unterschiedliche Meinungen und Positionen zu einzelnen Fragen, sondern um ein fundamental unterschiedliches Menschenbild: „Nach mehreren Radikalisierungsschüben dominiert inzwischen vor allem in der Partei ‚Alternative für Deutschland‘ (AfD) eine völkisch-nationalistische Gesinnung … Wir sagen mit aller Klarheit: Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar.“
Mich hat diese Klarheit überrascht und gefreut. Nach einer Bischofskonferenz, die mit dem leidigen Streit mit dem Vatikan über den Synodalen Weg begann, hatte ich die Sorge, dass wieder einmal kircheninterne Themen die mediale Berichterstattung prägen. Über den römischen Brief, der das Verbot erteilte, über die Satzung des Synodalen Ausschusses abzustimmen, kann man sich ärgern, man kann darauf wütend, ratlos, resigniert oder gelassen reagieren. Es bleibt das Gefühl, dass wir oft viel zu fixiert sind, auf das, was aus Rom kommt.
Eigentlich haben wir doch in unserer Welt und Gesellschaft ganz andere Themen. Das Friedenswort der deutschen Bischöfe unter dem Thema „Frieden diesem Hause“ ist vorgestellt worden. Es wird in seinen differenzierten Positionen zwischen Pazifismus und harter Realität hoffentlich Beachtung finden. Ein Bekenntnis zur weiteren Unterstützung der Ukraine findet sich bei den Bischöfen ebenso wie mahnende Worte an Israel, mit dem Ziel, „endlich zu einer Lösung zu gelangen, die Freiheit und Sicherheit für Israel und Palästina und dauerhafte Stabilität für die Region des Nahen Ostens gewährleistet.“
Es ist gut und notwendig, wenn Kirche sich klar positioniert und deutliche Worte findet. Das Bekenntnis zur unantastbaren Würde eines jeden Menschenlebens, basierend auf der Gottebenbildlichkeit aller Menschen und damit die Absage an jede Form des völkischen Nationalismus gehört zum Kern des christlichen Glaubens. In der Absage an die Wählbarkeit der AfD für Christen haben die Bischöfe ein notwendiges klares Wort gesagt.
Der Blick zurück, der Blick nach vorn, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
Immer freitags auf franziskaner.de
Lieber Bruder Martin
Vielleicht denkst Du gerade „Nein, nicht schon wieder der!“ und verdrehst dabei die Augen. Leider ist für mich hier der einzige Ort, um mit meinen franziskanischen Brüdern in einen Dialog zu treten. Und sicher ist die Begrenzung der Zeichenzahl für Eure Kommentare auch der Grund dafür, dass der eine oder andere Punkt wenig oder gar nicht beleuchtet wird. Dennoch möchte ich eben diese Punkte nicht unerwähnt lassen.
Man hat erst vor kurzem wieder darüber diskutiert, ob die Kirche sich zu politischen Themen äussern soll – zumindest hier in der Schweiz. Es gab viele Stimme mit einen deutlichen Nein. Hauptargument: Jesus habe ja auch keine Politik betrieben. Ich will auf dieses Argument auch gar nicht weiter eingehen, aber wir wissen doch ganz genau, was passiert, wenn die Kirche zur Politik schweigt oder nur ein ganz leises Stimmchen erhebt. Deutschland hat dies im Dritten Reich erfahren. Und gerade darum darf die Kirche nicht schweigen, nie mehr und bei keinem Thema.
Der Vorwurf der „Nabelschau“ der Kirche und der Romzentrierung wird auch immer wieder laut. Das halte ich nicht für fair. Denn noch ist Rom das Zentrum der Kirche und der Ort, von dem aus von oben herab diktiert wird. Apropos: Diktieren und Diktator haben denselben enthymologischen Ursprung im Lateinischen. Die deutsche katholische Kirche hat es gewagt, auf dem Synodalen Weg ein Stück weit voranzupreschen und erhält einen Brief nach dem anderen aus Rom. Es ist doch der Vatikan, der die deutschen Katholiken zum Kreisen um Rom zwingt, so als sei man auf einem Kettenkarussell und komme nicht mehr davon herunter. Die reformwilligen Bischöfe (ausgenommen die vier Mutlosen, die sich an den Papst wandten und fragten, ob sie beim Synodalen Weg noch weiter mitmachen müssen) haben doch kaum noch einen Ausweg aus dieser Zwickmühle von „Reformforderungen der verbliebenen Kirchenmitglieder“, dem römischen Marschtempo auf dem Synodalen Weg (ein Schritt vor, zwei zurück) und dem absoluten Nichtstun und Ausharren. Und wer glaubt, dass ein bisschen Reform bereits ausreichen würde, der muss sich bewusst sein, dass das die Menschen in der Kirche nicht mehr tolerieren werden. Und jetzt mal ganz im Ernst: Das ständige Verweisen auf eine Evangelisierung als Hauptaufgabe der Kirche (siehe das Apostolische Schreiben „Evangelii gaudium“ von Papst Franziskus und das permanente Nachplappern selbiger Worte durch Nuntius Nikola Eterović), ändert doch nichts an der Situation IN der Kirche. Ohne Strukturreformen und Reformation im Klerus, damit Missbrauch (sexueller wie auch Machtmissbrauch) vermieden wird, machen wir doch genau so weiter wie bisher. Vielleicht können wir durch eine Evangelisierung neue Mitglieder für die Kirche gewinnen oder Ausgetretene wieder zurückgewinnen. Aber diese Menschen kommen dann in eine Kirche, die an ihren Strukturen krankt, Missbrauch weiterhin unter den Teppich kehrt und sich immer mehr rückwärts wendet – als würde das Feiern der Tridentinischen Messe die Kirche zu einem Ort von Friede, Freude, Eierkuchen machen.
Papst Franziskus hat Befürchtungen, dass die deutsche Kirche zu fortschrittlich wird und sich vielleicht auch zu unabhängig von Rom macht. Gleichzeitig werden die konservativen Stimmen in den Reihen der Bischöfe und Kardinäle immer lauter. Kritik am Papst aus deren Reihen wird immer offener ausgesprochen. Franziskus hat zwar vor kurzem Bischof Strickland seines Amtes enthoben, aber dieser ist deswegen nicht leiser geworden. Mir scheint, dass das Pontifikat von Franziskus ihm allmählich um die Ohren fliegt. Er ist kein Reformer und die Konservativen kann er nicht bändigen. Seine Kardinalsernennungen sind kirchenpolitisch motiviert, aber in meinen Augen teilweise ein Fehler. Und in dieser Situation zeigt Franziskus immer auf die bösen Deutschen (inklusive Gesprächsverweigerungen) und malt den Teufel in Form einer Kirchenspaltung an die Wand. Da frage ich mich persönlich: Was ist das grössere Übel, eine Kirche ohne Volk – und damit ohne Seelsorge – oder eine Spaltung – mit Seelsorge an den verbliebenen Menschen?
Ich weiss, Martin, ich habe inzwischen mehr Zeichen geschrieben als Du in Deinem Kommentar zur Verfügung hattest. Darum nur noch abschliessend: Es ist schön, dass sich die Kirche gegen einen völkischen Nationalismus ausgesprochen hat. Aber wie so oft vermisse ich Antworten auf die drängenden Fragen der Bevölkerung:
Wie viele Menschen werden noch in Deutschland aufgenommen? Es hat nicht unendlich viel Platz in diesem Land (und in Europa)! Das ist Logik, keine Volksverhetzung.
Wieso werden Millionen für Offshore-Center (Auffanglager im aussereuropäischen Ausland) ausgegeben? Warum verwendet man dieses Geld nicht vor Ort, nämlich in den Armenhäusern dieser Welt (Asien und Afrika)?
Warum sieht man keinen Fortschritt in Afrika und Asien, obwohl seit vielen Jahrzehnten Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe gezahlt wird? Wohin versickert das Geld?
Warum verfolgt man nicht vermehrt die Strategie der „Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort“?
Warum wird der Bundestagspräsidentin und der Aussenministerin der Frisör von Steuergeldern bezahlt Während Rentner in Mülleimern Pfandflaschen suchen müssen?
Warum müssen Beamte nicht in die Rentenkasse einzahlen wie alle anderen Arbeitnehmer auch?
Warum reicht die Rente für viele Menschen nicht, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben?
Mit welcher Begründung muss einem Alt-Bundespräsidenten ein Ruhegeld in Höhe von derzeit EUR 214.000 pro Jahr bezahlt werden? Der amtierende Bundespräsident bekommt eine Besoldung in gleicher Höhe (plus Aufwandsgeld)!
Das sind nur ein paar der Fragen, die mir spontan einfallen. Fragen, die teilweise auch von der AfD gestellt werden, die aber die anderen „wählbaren“ (mit ebenso grossem Fragezeichen versehen!!!) Parteien nicht zu interessieren zu scheinen.
Und jetzt unke ich einmal: Wenn diese Fragen in absehbarer Zeit nicht beantwortet / die Probleme nicht gelöst werden, wird die demokratische Staatsform in Deutschland und anderswo verschwinden. Vielleicht wird dann nicht die AfD am Ruder sein und stattdessen Anarchie herrschen, aber Hauptsache, wir konnten den Feind in einer Partei identifizieren. Aber ändern musste man ja nichts.
Verehrter Herr Kastenholz,
von Sokrates wird überliefert, er habe das Gewissen (das „daimonion“) als jene innere Instanz betrachtet, die ihm nicht sage, was er jeweils tun, sondern das, was er jeweils nicht tun solle- Mit anderen Worten: es geht nicht um irgendwelche Handlungs- und Gebrauchsanweisungen, sondern um die Warnung vor verhängnisvollen Irrwegen und Fehlgängen, die man nicht gehen sollte. Genau in diesem Sinne verstehe ich das Bischofswort wie den Kommentar von P. Martin, der mir aus der Seele spricht. Was Sie alles an politischen Fragen und Forderungen auflisten, gehört auf die politische Agenda, die ausdrücklich nicht (!) Sache der Kirche ist. Wo sie solche Dinge zu ihrer Sache gemacht hat, hat sie sich regelmäßig blamiert (dabei muss man nicht bis zu den Kreuzzügen oder den Verstrickungen in den Faschismus zurückgehen). Ich grüße Sie herzlich…
Sehr geehrte Frau Bergmeyer
Ich gebe Ihnen recht, dass die Kirche sich auf dem politischen Parkett mehr als ein Mal blamiert hat. Politik ist wahrlich nicht ihre Kernkompetenz. Dazu müsste sie sich eingehend mit der Materie beschäftigen und dem „Volk aufs Maul schauen“ – wie Luther einmal gesagt hat. Aber die Kirche ist mit Interna beschäftigt und hat ohnehin eher selten auf das gehört, was ihre „Schäfchen“ von sich gegeben haben.
Es sei unbestritten, dass die Kirche sich an das Gewissen der Menschen wenden soll. Aber man kann darüber streiten, ob das Daimonion lediglich dazu rät, etwas nicht zu tun oder nicht doch auch dazu anleitet etwas zu tun. So hat Sokrates es als Zustimmung betrachtet, wenn das Daimonion geschwiegen hat.
Ich denke (und das ist meine ganz persönliche Meinung!), dass die Kirche, wenn sie hätte unpolitische bleiben wollen, zwar das Wählen von völkisch-nationalistischen Parteien als unchristlich hätte verurteilen können. Aber mit der expliziten Nennung der AfD ist die Kirche in das Minenfeld der Politik getreten. Und ich beschränke das nicht nur auf die Aussage zu einer ganz bestimmten Partei. Immer wieder betont die Kirche, dass die westlichen Staaten, allen voran Europa, ALLE Flüchtlinge aufnehmen muss. Sie unterscheidet nicht zwischen Verfolgten, Gefolterten und denen, die vom Reichtum des Westens angelockt werden. Diese Nicht-Unterscheidung macht die moralische Forderung der Kirche zu einem politischen Statement, nicht nur zu einer Aussage zur christlichen Moral. Die Hilfe für restlos alle aus der ersten Gruppe muss uns Christen in die DNS übergehen. Ohne Frage. Für die zweite Gruppe trifft das zu, was ich schon mehrmals gesagt habe, nämlich, dass die Reichen mit den Armen teilen müssen. Nur so können wir dem Anspruch Jesu gerecht werden und diese Welt vor dem Chaos durch Aufstände, Revolutionen und Kriege bewahren. Nur, und hier kommt nun ein Aber: Diese Hilfe KANN NICHT in Europa stattfinden nach dem Motto „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“. Das sagt doch schon allein das logische Denken! Darum halte ich ja auch diese generalsierende Aussage der Kirche zur Aufnahme aller Flüchtlinge für falsch. Anderfalls muss die Kirche auch mit Lösungen kommen!!! Und sicher einige der Fragen stellen, die ich in meinem Kommentar geschrieben habe. Und spätestens dann muss die Kirche politisch werden. Denn die Hilfe muss bezahlt werden – aber nicht von der Kirchensteuer. Denn die wird benötigt, um z.B. eine völlig überflüssige Hochschule für katholische Theologie in Köln zu finanzieren, damit wieder mehr nicht-homosexuelle, papsttreue und konservative Priester herangezogen werden. (Entschuldigung, aber dieser Seitenhieb musste jetzt sein.)
Vielleicht konnte ich deutliche machen, Frau Bergmeyer, warum die Kirche politisch ist bzw. sein oder werden muss. Aber wenn sie es denn sein will, dann bitte mit Sachverstand oder sie „möge für immer schweigen“.