12.11.2020 Stefan Federbusch OFM

„Der Franziskanische Weg zum Menschen“

Tagung der Johannes-Duns-Scotus-Akademie, vom 20. bis 23. Oktober in Hofheim

Johannes-Baptist Freyer OFM und Peter Schorr OFM. Bild von Stefan Federbusch OFM.

Die Tagung der Johannes-Duns-Scotus-Akademie im Jahr 2018 hatte sich dem franziskanischen Weg zur Innerlichkeit beschäftigt. Innerlichkeit als personale Begegnung mit Gott in Liebe. Es geht um die innerliche Stärkung der Person, die zur Mit-Liebe mit Gott berufen ist. Dies bedeutet keine selbstbezogene Wellness-Spiritualität. Im Gegenteil: „Christliche Einkehr ist niemals Abkehr von der Welt. Der Zug nach innen ist immer auch Sendung nach außen. Denn der Geist, durch den wir „im Inneren an Kraft und Stärke zunehmen“, ist der Geist, der das Antlitz der Erde verändert… Christliche Innerlichkeit bewährt sich in ihrer Verantwortung für das, was draußen ist“, schrieb Provinzialminister Cornelius Bohl im Geleitwort zum Tagungsband. Es geht um Mystik und Weltverantwortung, um den Zusammenhang von Mystik und Politik. Eine franziskanische Spiritualität hat sich im konkreten Alltagsgeschehen zu bewähren nach dem Motto: „Wer bei Gott eintaucht, taucht beim Menschen wieder auf“. Es war also nur folgerichtig, dem Thema „Franziskanische Innerlichkeit“ die Umsetzung der „Franziskanischen Äußerlichkeit“ folgen zu lassen. Unter dem Tagungstitel „Der franziskanische Weg zum Menschen“ referierten neun Schwestern und Brüder vom 20.-23. Oktober 2020 im Exerzitienhaus in Hofheim über konkrete Umsetzungs- und Aktionswege zum Menschen von heute.

Der Einführungsimpuls von Johannes-Baptist Freyer OFM war zunächst eine historische Rückblende unter dem Motto: „Missionarisch unterwegs“. Er verdeutlichte den franziskanischen Universalismus der ersten Brüder gemäß dem Wort „Unser Kloster ist die Welt“ (Sacrum Commercium). Als praktische Anschauung diente der Vortrag von Johannes Schlageter OFM: „Über das Risiko, hinaus zu gehen – nach der Cronica Jordans von Giano“. Im kommenden Jahr ist das 800jährige Jubiläum der Ankunft der ersten Brüder in Deutschland. Einer von ihnen war Jordan von Giano, der die Freuden und Leiden der ersten rund 90 Brüder dokumentiert hat. Nachdem ein erster Anlauf aufgrund von Sprachschwierigkeiten scheiterte, gelang der zweiter Anlauf und die Brüder wanderten in kurzer Zeit bis in den Norden Deutschlands. Als Kehrseite des Erfolgs nannte der Referent die Degradierung der Laienbrüder. Ursprünglich dürften sie den Leuten die Bußpredigt halten und waren im Orden gleichberechtigt. Dann kam es zu einer zunehmenden Klerikalisierung, die bis ins 20. Jahrhundert anhielt.

Carola Thomann FCJM und Gisela Fleckenstein OFS. Bild von Stefan Federbusch OFM.

Ebenfalls einen historischen Touch hatten die Ausführungen von Sr. Carola Thomann FCJM, die sich der Geschichte der Gründerin der Franziskanerinnen von Salzkotten, Mutter Clara Pfänder widmete. Unter dem Wort von ihr „Wir haben nichts und haben doch alles“ zeichnete sie ihr Leben für die Kirche, mit der Kirche, in der Kirche nach. Ebenso ihr Leiden durch die Kirche, da die Gründerin selbst zur verfolgten Kirche wurde. Bischof Konrad Martin hatte ihr eine Geheimvollmacht mit Schweigegebot gegen jedermann gegeben, an das sie sich bis zu ihrem Tod hielt. Es wurde erst 1977 im Campo Teutonico gefunden und diente der Rehabilitierung der Gründerin. Sr. Carola war für Martina Kreidler-Kos eingesprungen, von der ein Beitrag „Arm an Dingen – reich an Leben. Franziskanisch-klarianisches Aggiornamento“ vorgesehen war. Aufgrund der Corona-Einschränkungen konnte auch Sr. Paulin Link ihren Vortrag „Und das Wort ist Fleisch geworden. Wenn Gottes Botschaft heutig wird“ nicht halten. Für sie sprang Leonhard Lehmann OFMCap ein, der eine Kurzfassung seiner Abschiedsvorlesung über „Das „inter“ in den Schriften des hl. Franziskus“ bot. Das kleine Wort kommt 25mal in den Schriften vor. Davon griff der Referent 7 Stellen auf, die sich auf die Gemeinschaft der Brüder, den sozialen Stand, die soziale Stellung, die Stellung unter Ordensleuten, das Missionsstatut, die Menschen am Rand sowie die Lehre der Theologie beziehen. Für Franziskus ist es ein unter den Menschen sein, ein Dazwischensein mit Interesse (inter esse).

Peter Amendt OFM und Udo Schmälzle OFM. Bild von Stefan Federbusch OFM.

Nach den historischen Rückblenden erfolgte der Sprung ins heute. Zwei Vorträge hatten dabei die Schule und Bildung junger Menschen im Fokus. Udo Schmälzle OFM widmete sich dem Thema „Wissen, Bildung und Schule neu denken: Impulse aus der franziskanischen Pädagogik für Bildung und Erziehung“. Dazu beantwortete der Referent die Fragen: Auf welche Menschen treffen wir? Was wird aus der Gottesfrage? Was ist Auftrag an Bildung und Erziehung? Wie sieht die franziskanische Perspektive aus? Ein Ansatz: Gott nicht im Wege stehen, sondern das entdecken, was er in den Menschen wirkt. Daraus entwickeln sich die Prinzipien eines franziskanischen Schulprofils: suchen – staunen – glauben – Freiheit – Anteil nehmen (compassion) – mitleiden – Frieden stiften – versöhntes Leben mit der Schöpfung – Option für die Armen. Der ehemalige Schulleiter des Franziskusgymnasiums in Vossenack Peter Schorr OFM fragte nach dem Spezifischen einer franziskanischen Bildung: „Bildung und Erziehung heute – franziskanisch“. Alle Orden beanspruchen in ihrer Schultradition eine „ganzheitliche“ Bildung. Nach dem Lebensbeispiel von Franziskus benannte er als spezifisch franziskanischen Ansatz: Abstieg zu den Menschen auf Augenhöhe, präsent sein, zuhören, sich nichts aneignen, sich nicht über andere erheben und Beziehungen pflegen, die freisetzen, die anderen helfen, in sich das Bild Christi zu entdecken.

Um die Sorge und Compassion mit ganz konkreten Menschen ging es im Bericht von Peter Amendt OFM über „Mein Leben und Wirken als Franziskaner mitten im Volk“. Er hat 2008 den Verein Visi-on:teilen gegründet, der in vielfacher Weise sein Motto umsetzt: durch einen Gute-Nacht-Bus für Obdachlose, das Projekt „Hallo Nachbar“ als aufsuchende Hilfe für Vereinsamte, durch Wohnungen für Obdachlose, einen Secondhand-Laden, die Chance Wuppertal (Hausaufgabenhilfe, Nahrungsmittelhilfe für Familien, Freizeiten für Kinder) sowie Kleinstprojekte in verschiedensten Ländern des Südens. In Deutschland haben wir nach Einschätzung von Br. Peter eine gerechte, aber unbarmherzige Gesellschaft. Es brauche Zuwendung über materielle Hilfe hinaus. Doch ist das ein Kampf gegen Windmühlen? Wir verändern nicht die Welt, die Welt verändert uns. Es reiche, einigen Menschen deutlich zu machen: du bist geliebt, du bist für mich wichtig. Ob der Same aufgeht, liege nicht in unserer Hand.

Johannes Schlageter OFM und Leonhard Lehmann OFMCap. Bild von Stefan Federbusch OFM.

Eine konkrete Lebensform stellte Gisela Fleckenstein OFS vor: „Weltlich franziskanisch leben. Der Ordo Franciscanus Saecularis als Chance?“ Der OFS ist einer der Dritten Orden, die an einen ent-sprechenden Ersten Orden angeschlossen sind. Es werden keine Gelübde abgelegt, sondern Versprechen. Die Mitglieder sind äußerlich nicht an einem Ordensgewand erkennbar. Die Referentin stellte zunächst die historische Entwicklung bis zur aktuell gültigen Regel von 1978 dar (Apostolischer Brief „Seraphicus Patriarcha“ von P. Paul VI.). Anhand der Inhalte der Regel mit den konkreten Bestimmungen verwies die Referentin auf die Eigenverantwortung jedes Mitglieds, beispielsweise in der Frage eines einfachen Lebensstils und des Teilens des Vorhandenen je nach eigener Situation.

Der letzte Impuls wurde von Johannes-Baptist Freyer OFM vorgetragen, da Markus Heinze OFM coronabedingt nicht aus der Schweiz anreisen konnte. Der Direktor von Franciscans International hatte seine Gedanken unter das Motto gestellt: „Der Weg zum Menschen international – Von Traum und Trauma“. Franz von Assisi hatte im Krieg mit der Nachbarstadt Perugia sein Trauma erlebt, Papst Honorius den Traum, wie Franziskus die Kirche wiederherstellt. Im 20. Jahrhundert gab es das Trauma zweier Weltkriege und den Traum einer vereinten Menschheit, der mit der UNO seit 75 Jahren eine konkrete Gestalt angenommen hat. Im Jahr 2006 errichtete sie in Genf den Menschenrechtsrat. Es bedarf der Stimme der Zivilgesellschaft. FI ist eine NGO mit allgemeinem Beraterstatus (seit 1995), die immer wieder Menschenrechtsthemen einbringt. Br. Markus nannte als Beispiele: Die „Hexenkinder“ in Benin, die Situation der Indigenen in West Papua, der Dammbruch mit 272 Toten in Brumadinho in Brasilien. Wie begegnen wir den Traumata der Menschen? Mit Träumen, etwa den Visionen von Papst Franziskus (Laudato si / Fratelli tutti) gemäß dem Wort „Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit“.

In der Schlussrunde wurde die gute Mixtur aus Theorie und Praxis, aus Historie und dem Leben heute hervorgehoben. Für eine zukünftige Veranstaltung gibt es eine ganze Reihe von interessanten Vorschlägen zur thematischen Gestaltung.

Alle Teilnehmenden waren dankbar, dass die Tagung unter der Leitung von Herbert Schneider OFM trotz Corona-Einschränkungen stattfinden konnte.

 


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