So verschieden und doch ähnlich können nur Franziskanerinnen sein. Sie machen nach wie vor den größten Anteil der Frauengemeinschaften in Deutschland aus. Auch wenn es einige wenige Brüder-Communitäten des Dritten regulierten Ordens gibt und die franziskanische Familie des säkularen dritten Ordens weltweit verbreitet und franziskanisch bunt ist, verbinden die meisten Menschen mit dem Dritten Orden die franziskanischen Frauengemeinschaften – ganz unterschiedlich in ihrem Erscheinungsbild, ihrer Lebensweise, ihren Engagements und doch allesamt Franziskanerinnen.
Viele Aufgaben, die einst das Gründungscharisma der Gemeinschaften bestimmten, werden inzwischen von Staat und Caritas übernommen. Dies weckt in nicht wenigen Gemeinschaften das Gefühl, überflüssig geworden zu sein. Beim genaueren Hinsehen aber zeigt sich, dass zwar die Betätigungsfelder wechselten; die ursprüngliche Motivation franziskanischer Frauengemeinschaften ist aber nach wie vor brandaktuell – nämlich nach dem zu fragen, wohin Gott uns treibt, wie wir aus ihm leben können und was nötig ist, damit Menschen in Würde leben und die Welt ein Stück gerechter und menschenfreundlicher wird.
Kein Wunder, dass dieser Lebensimpuls auch heute Frauen fasziniert, in etablierten Franziskanerinnenkongregationen oder in Neugründungen, die sich auch in Deutschland finden, nach einer Lebensform zu suchen, die Gottsuche, Engagement für andere und Leben in Gemeinschaft verbindet.
Das 2. Vatikanum hat die Ordensleute an ihre Wurzeln verweisen und sie aufgefordert, neu zu entdecken, was ihre Spiritualitäten und Gründergestalten wollten. Für viele Franziskanerinnen gab dies einen wichtigen Schub, sich überhaupt zu vergewissern, was es heißt, als Franziskanerin zu leben. Die Zeit der historisch-kritischen Ausgaben der Franziskusschriften begann, oft unterstützt durch Frauengemeinschaften und abgetippt von Schwestern in Abendfreizeiten und Wochenendreklusen.
Die einstige Blütezeit der Franziskanerinnen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts schien zurückgekommen. Damals waren so viele spirituell suchende Frauen unterwegs, dass den Kirchenmännern, wie so oft, nichts anderes einfiel, als sie durch klösterliche Lebensformen zu bändigen. Aus Angst, den Strom dieser vitalen Gottsuche der Frauen von damals und dem darin innewohnenden Reformimpuls nicht Herr zu werden, formulierten Bischöfe den entstehenden Kongregationen vor, die franziskanische Spiritualität zu übernehmen und stülpten ihnen zusätzlich eine klausurierte und im Grunde monastische Lebensweise über. So hießen diese neu entstandenen Kongregationen zwar Franziskanerinnen, lebten aber faktisch wie Benediktinerinnen mit einem riesigen Gebetspensum in strenger Klausur, die es trotz und oft unvermittelt zum Einsatz in Schule, Erziehung und bei den Kranken zu bewältigen galt.
In diese unaushaltbare Spannung hineingezwängt zu werden – einerseits als Franziskanerinnen zu leben und damit für eine Lebensform in enger Berührung mit Gott und den Menschen zu stehen und andererseits ein monastisch zurückgezogenes Leben qua Tagesrhythmus zu führen –, ist wohl einer der Gründe für die Zerreißproben, in denen sich viele franziskanische Frauengemeinschaften noch heute wiederfinden. Gab es das Frauenbild in der Gesellschaft und Kirche des 19. und beginnenden 20. Jh. nicht her, dass Frauen selbstständig und eigenaktiv, ihre Spiritualität lebten, darüber sprachen und sich für andere engagierten, wie sie es wollten, rumort dieses nicht bewältigte Erbe nach wie vor in der Kirche und den Gemeinschaften. Die Verklösterlichung der franziskanischen Lebensform war im 19.Jh. zwar ein rettender Impuls und bewirkte über die Institutionalisierung der Frauengemeinschaften auch deren Fortbestand. In der Rückschau wirkt er aber eher wie ein Sündenfall. Das Frauenbild passt nicht mehr, das Spirituale und Bischöfe notwendig machte, um Frauen spirituell zu versorgen oder gar zu leiten. Auch bezüglich der konkreten Praktiken und Umgangsformen müssen sich franziskanische Frauengemeinschaften die Frage gefallen lassen, ob sie einem freiheitlich demokratischen Selbstverständnis von Frauen standhalten bzw., ob sie Frauen von heute die Möglichkeit geben, sich als selbstbewusste, offene und kreative Persönlichkeiten zu entfalten.
Nichtsdestotrotz sind die franziskanischen Frauengemeinschaften lebendig, aktuell und hoch motiviert, die Weite und Tiefe franziskanischer Spiritualität ins Heute zu übersetzen; ob dies in aktualisierten Engagements für benachteiligte Menschen der Fall ist, im interreligiösen und interkulturellen Dialog oder die eigenen Gottes-(Nicht-)Erfahrungen zu teilen und nach Wegen zu suchen, sich immer mehr von Gott berühren zu lassen.
Die Zukunftsfrage franziskanischer Frauengemeinschaften wird sich wohl daran entscheiden, inwieweit es gelingt, das Gute und Stärkende aus den Traditionen für heute zu aktualisieren und sich als wirkliche Lebens- und Glaubensgemeinschaften zu formieren, in denen zählt, was die Einzelne bewegt. Man muss es uns ansehen können, dass wir unser Fragen und Ausschauhalten nach Gott genauso teilen wie unser gesellschaftliches und (kirchen-)politisches Engagement für eine gerechte Welt, als freie und weitherzige Frauen, wie es der franziskanischen Spiritualität eigen ist und provokant auch, denn das Evangelium gehört denen, die Gott selbst das Unmögliche zutrauen.
Mirjam Schambeck sf (Mitglied der societas francisci – einer 2004 in Würzburg gegründeten franziskanischen Frauengemeinschaft), Prof. Dr. theol. habil., nach dem Studium der Theologie (Diplom) und Germanistik pastorale Arbeit in Brasilien und Bolivien (in Favelas, mit Straßenkindern, dem Stamm der Chiquitanos und in der Ordensausbildung), seit 2006 Professorin für Religionspädagogik, zunächst in Bamberg und Bochum, seit 2012 an der Universität Freiburg i. Br., zahlreiche Veröffentlichungen.