Frau Dr. Sissi Mettier-Mangholz

Franziskus an der Krippe

Weihnachtsfeier in Greccio – kulturgeschichtliche Zugänge

Vor 800 Jahren wurde in Greccio in der Provinz Rieti in den Sabiner Bergen eine Weihnachtsfeier durch den Heiligen Franziskus auf eine neue Art und Weise inszeniert. Sie fand in der Nähe der Grotte satt, welche Franziskus als Zelle diente. An dieser Stelle stehen heute ein Franziskanerkloster mit einer kleinen Kirche sowie die große Kirche der Unbefleckten Empfängnis. Aus den Viten von Thomas von Celano und Bonaventura aus dem 13. Jahrhundert erfahren wir, dass Franziskus das Geheimnis der Menschwerdung Gottes wieder in die Herzen der Menschen zurückbringen wollte mit einer Weihnachtsfeier, welche die Geburt in Bethlehem so getreulich wie möglich darstellen sollte. In der Legenda Major ergänzt Bonaventura die Vita von Celano mit weiteren Details, wie der Bestätigung der Feier durch den Papst. Spätere Lebensbeschreibungen des Poverellos, wie jene von Marcos de Lisboa aus dem 16. Jahrhundert, sind Zusammenfassungen von Celano und Bonaventura, welche mit eigenen Details ergänzt wurden.

Abbildung 1: Giotto di Bondone (um 1267 bis 1337), Fresko aus der Basilika San Francesco in Assisi. Foto von Stefan Diller

Aus all den Schilderungen geht hervor, dass diese Weihnachtsfeier nicht vergleichbar ist mit den bereits seit dem 10. Jahrhundert bekannten Weihnachtsspielen, wo Schauspieler die biblischen Erzählungen als «Theater» aufführen oder mit Weihnachtskrippen, welche die Geburt nach den biblischen Vorlagen, darstellen. Sie basieren auf dem Matthäus- und Lukasevangelium sowie auf apokryphen Kindheitsevangelien und zeigen die Krippe mit dem Jesuskind zusammen mit Ochse und Esel. Diese beiden Tiere sind bei Jesaja 1,3 und Habakuk 3,2 beschrieben und sind auch bei den Kirchenvätern festgehalten. Die beiden Vierbeiner sind stellvertretend für Juden und Heiden und für das neue Gottesvolk in der Kirche. Sie verweisen auch auf die Einheit von Altem und Neuen Testament und stehen für Versöhnung und Frieden unter allen Menschen, was für den Heiligen Franziskus essentiell wichtig war. Der Stall oder die Geburtsgrotte sind ab dem 4. Jahrhundert als Ort der Menschwerdung Gottes dargestellt. Neben dem Christuskind in der Krippe mit Maria und Joseph, sowie den beiden Tieren und Engeln, wird die Anbetung der drei Heiligen Könige/Magier ein weit verbreitetes Motiv auf Sarkophag-Deckeln aus dem 4. Jahrhundert. Bei Franziskus fehlen die biblischen Figuren und er übernimmt für seine Performance nur die Krippe, welche leer ist. Ochse und Esel sind als lebendige Tiere zusammen mit den Minderbrüdern und dem Volk von Greccio anwesend, welche einer feierlichen Vigilmesse im mit Fackeln beleuchteten Wald beiwohnen. Dabei fungiert die leere Krippe als Altar. Nur Giovanni Velita (Johannes von Greccio) sieht in einem Gesicht das lebendige Jesuskind in den Armen des Poverellos. Ob die Weihnachtskrippe von Franziskus nun der Ursprung der volkstümlichen Krippen ist, wird verschieden bewertet, ebenso die Historizität des Geschehens und die Bedeutung und Interpretation der Greccio-Weihnachten. Seit 1973 wird in Greccio das Ereignis der Geburt Christi, wie es Franziskus 1223 inszenierte, von Laiendarstellern aus Greccio wiedergegeben. In der Partnerstadt von Greccio, in Bethlehem, wurde dieses Jubiläumsspiel 1992 als Gastspiel aufgeführt.

Abbildung 2: Beat Jakob Bachmann (17. Jahrhundert) aus dem ehemaligen Kapuzinerkloster Sursee/Schweiz Foto von Br. Niklaus Kuster OFMCap

Was wird nun in der bildenden Kunst von den Legenden aufgenommen? Die ältesten Darstellungen finden sich auf Vitentafeln aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Das Jesuskind liegt in seiner Krippe umgeben von Ochse und Esel, daneben ist Franziskus im Habit oder als Diakon eingekleidet. Dahinter ist die Heilige Messe dargestellt. Coppo di Marcovaldo stellt auf der Bardi-Tafel als einziger die Krippe mit den Tieren in einer angedeuteten Höhle vor dem Altar dar. Giotto prägte die Darstellung der Weihnachtsfeier in Greccio mit seinem Fresco aus dem Lebenszyklus von Franziskus (um 1295) in der Oberkirche von San Francesco in Assisi für über 150 Jahre (Abb. 1). Die Feier verlegt er in den Chorraum einer Kirche, wo Franziskus das lebendige Jesuskind liebevoll in den Händen hält. Ochse und Esel liegen vor der Krippe, wobei der Esel interessiert der Vision zuschaut. Seine Mitbrüder singen in der Mitternachtsmesse und das Volk von Assisi, also nicht Greccios Bauernfamilien, sind zugegen. Rechts ist der Altar mit dem Priester und weiteren Geistlichen zu sehen. Jedoch Franziskus’ Wunsch, das Geschehen so getreulich wie möglich darzustellen, also in ärmlichen Verhältnissen, geht durch die Verortung im Kirchenraum und seiner Ausstattung verloren. Anders verhält es sich mit der Darstellung von Antonio Vite (14./15. Jahrhundert). Er zeigt auf dem Deckengewölbe des Kapitelsaals von San Francesco in Pistoia die Weihnachtsfeier in einer Waldlandschaft. Auf der linken Seite des Bildes beugt sich Franziskus über die Krippe mit dem Jesuskind. Der Mann ganz Links kann als Giovanni Velita identifiziert werden, der das Wunder des lebendigen Jesuskindes als einziger sieht. Diese Vision wird in den meisten Bildern als Realität gezeigt, d. h. wir sehen die Szene durch die Augen von Giovanni. Das Zentrum des Bildes ist ein einfacher baufälliger Altarraum, wo die Heilige Messe zelebriert wird, und rechts davon stehen die Mitbrüder. Eine der ersten Gegenüberstellung von Heiliger Familie und Weihnachten in Greccio haben wir aus dem 14. Jahrhundert im Santuario di Greccio in der «Geburtskapelle und Geburtsgrotte». Im 15. Jahrhundert wird dieses Motiv in San Francesco in Vetralla (Latium, Italien) aufgenommen. Auf der linken Seite ist die Heilige Familie mit den Tieren ohne jegliche Ausschmückung dargestellt. Damit verweist der Künstler auf die Einfachheit, Armut und Demut des Gottessohnes, was Franziskus mit seiner Feier hervorheben wollte. Franziskus hält das lebendige Jesuskind liebevoll in seinen Händen. Es ist in einer Strahlenaureole eingebettet und ein zweites Mal als Vision dargestellt. Franziskus kehrt der Szene mit dem Altar, dem Priester, den Mitbrüdern und den Bürgern von Vetralla den Rücken zu. Aus dieser Bildkombination entwickeln sich zwei eigene Bildmotive: Die Heilige Familie mit Franziskus, der das Jesuskind in der Krippe anbetet, und Franziskus mit Maria, die ihm das Jesuskind präsentiert.

Abbildung 3: Franziskus und Klara an Weihnachten in Greccio. Bild von Bruno Fäh OFMCap, Kulturgut der Schweizer Kapuziner

Am Ende des 16. Jahrhunderts verwendet Philipp Galle den Text von Marcos als Grundlage für seinen Franziskuszyklus. Die Kupferstichfolge mit 19 Platten mit rund 90 Szenen aus dem Leben des Heiligen fand eine große Verbreitung und wurde oft kopiert. Ferner ist festzuhalten, dass das Motiv Weihnachten in Greccio nur in mehrteiligen Franziskuszyklen vorkommt. Im Barock sind im Umfeld des 1528 gegründeten Kapuzinerordens weitere Franziskuszyklen zu finden, welche auf Marcos Vita und Galles Werken basieren. In diesen Darstellungen der Weihnachten in Greccio kommen Maria und Joseph vor, die zusammen mit Franziskus das Jesuskind anbeten. Ochse und Esel sowie die Minderbrüder im Kapuziner-Habit und das Volk in zeitgenössischer Kleidung sind zugegen. Zusätzlich wird die Szene mit zeitgenössischen Musikanten belebt, wie es Marcos beschreibt. Als Beispiele sind der 32-teiligen Franziskuszyklus von Jakob Warttis, der um 1615 im ehemaligen Kapuzinerkloster Zug und der 38-teiligen Franziskuszyklus von Beat Jakob Bachmann, der um 1620 im ehemaligen Kapuzinerkloster in Sursee entstand (Abb. 2) zu nennen. Die innige Beziehung von Franziskus zum Jesuskind, welche bei Giotto und weiteren Künstlern der Frührenaissance im Zentrum der Darstellungen der Weihnachtsfeier in Greccio steht, wird später im Motiv von Franziskus mit Maria aufgenommen, welche ihm das Jesuskind präsentiert. Auf einem seltenen ikonographischen Bildmotiv, im Kontext der Weihnachtsfeier von Greccio, findet sich diese liebevolle Hingabe von Franziskus zum inkarnierten Gott. Basierend auf einem Gemälde von Gerard Seghers, welches er Ende der 1620er Jahre für den Orden der Klarissen in Antwerpen schuf, hat Pieter de Jode der Jüngere einen Kupferstich erstellt, welcher als Druck im 17. Jahrhundert weit verbreitet wurde und Vorlage einiger Bilder aus diesem Jahrhundert wurde. Das Bild aus der Kapuzinerkirche Stans steht stellvertretend für diesen Bildtypus (Abb. 3). In diesen Darstellungen zeigen die Künstler Franziskus zusammen mit der Heiligen Klara an der Krippe des Jesuskindes.

Das eindrückliche und vielschichtige Bild der Weihnachtsfeier von Greccio von Sieger Köder (1992) in Ellwangen nimmt dieses Motiv auf, zusammen mit der Heiligen Klara. Köder stellt den Bezug zu den Menschen der heutigen Zeit her, welche das Weihnachtswunder zusammen mit den Tieren feiern. Frauen, Männer und Kinder sind neben Franziskus und Klara zu sehen. Der Altar ist die Krippe, vor welcher der Priester mit der hochgehobenen Hostie kniet. Franziskus steht dahinter, mit dem Jesuskinde in seinen Händen. Die Hostie und das Jesusknäblein werden eins und manifestieren die Inkarnation Gottes in der Eucharistie. Die Botschaft von Franziskus, Christus wieder in die Gegenwart der Menschen zu bringen, kommt hier noch deutlicher zum Ausdruck als in den bereits beschrieben Bildern. Auch die Gleichstellung aller Menschen wird mit dieser Bildfindung aufgegriffen und steht für das Denken des Poverellos, das heute immer noch hochaktuell ist im Kontext von Frieden, Toleranz, Humanität und sozialer Freundschaft untereinander.


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