05.05.2023 Pater Thomas Ferencik

Wie haben Sie den 1. Mai gefeiert?

<> Der Kommentar der Woche

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Pater Thomas Ferencik mit Studierenden der KHG Hamburg

Vor kurzem fuhren wir auf der Autobahn über die ehemalige innerdeutsche Grenze. Da wurde ich gefragt, wie wir zu DDR-Zeiten den 1. Mai gefeiert haben. Ich erzählte, wie wir mit der gesamten Schulklasse uns an der Lenin-Allee trafen. Anwesenheit war Pflicht! Unsere Motivation war dementsprechend gering, zumal wir wussten, dass wir benutzt wurden, um „die Stärke und die Einheit“ der DDR zu präsentieren. Nach der Aufteilung in Blöcke (wie bei Militärparaden) ging es dann irgendwann los. Die Bühne mit der Prominenz und die abschließenden Reden habe ich nie erlebt. Dazu gab es zu viele Seitenstraßen, durch die ich meine Mai-Demo abkürzte.

Heute sehe ich einmal mehr die Notwendigkeit, über das Anliegen des 1. Mai nachzudenken. Es geht um soziale Gerechtigkeit. Die Schere zwischen Arm und Reich wird weltweit immer größer. Laut der Hilfsorganisation Oxfam stiegen letztes Jahr die Vermögen der Milliardäre um zwölf Prozent, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung Einbußen von elf Prozent erlitt. Auch in Deutschland gibt es diese Ungleichheit.

Ich bin kein Ökonom. Wenn ich aber lese, dass in Deutschland Arbeit mehr versteuert wird als Vermögen, dann lässt mich das aufhorchen. Und im selben Artikel steht in Bezug auf Erbschaften: „Es ist wichtiger, in welche Familie Sie geboren werden, als was Sie mit Ihren Händen erarbeiten“. So bestätigt es sich: Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer. Leider trägt auch unsere Kirche dazu bei, indem sie ein Stipendienwerk betreibt, das nicht darauf achtet, Benachteiligte oder Personen aus ärmeren Verhältnissen zu fördern.

Der 1. Mai sollte ein Tag sein, der uns vor dem Auseinanderdriften der Gesellschaft warnt. Wir brauchen Solidarität und eine Lobby für die Schwachen, um gerecht und in Frieden miteinander leben zu können.


Der Blick zurück, der Blick nach vorn, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
Immer freitags auf franziskaner.de


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