22.10.2021 Bruder René Walke

Jetzt ist die Zeit

<> Der Kommentar der Woche

Oft ist das, was uns beschäftigt, uns sorgt und uns Angst macht, auch die Quelle für das, was jetzt dran ist. Mit dem Blick auf die Welt aus ihrer Perspektive kommentieren Franziskaner jeden Freitag, was sie wahrnehmen.


Bruder René Walke

Als ich einen sterbenden Mitbruder besuche, läuten die Kirchenglocken: 12:00 Uhr Mittags, das Angelusgebet. Mein Bruder kann mittlerweile nicht mehr sprechen, doch mit wachen Augen betet er mit. Im „Gegrüßet seist du, Maria“ heißt es „… und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“. Die Augen des Sterbenden strahlen, er nickt bestätigend und mir scheint, dass ihm das Wort „Jesus“ Halt und Trost gibt.

Im Gebet folgt der Schluss mit den Worten „… bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.“ Die Augen öffnen sich weit, er reißt sie förmlich auf und schüttelt vehement den Kopf: Jetzt und die Stunde seines Todes – diese beiden Zeiten rücken einander bedrohlich nah.

Mit dem Wochenkommentar „JETZT“ suchen wir aus verschiedenen Perspektiven das, was jetzt dran ist, was beschäftigt, was drängt. Das Jetzt ist wichtig und hat uns etwas zu sagen. Ich verbringe oft viel Zeit mit dem Gestern, mit alten Verletzungen und viel Ballast – daneben drängen die Aufgaben und Sorgen von Morgen, die viel zu schnell im Geist und Herzen Plätze besetzen, die allesamt für einen Moment reserviert sein sollen: Das Hier und Jetzt.

  • Hier und Jetzt wandelt sich das Klima und viele Menschen setzen sich jetzt für lebensnotwendige Veränderungen ein.
  • Hier und Jetzt verlassen verletzte, zornige, fragende und suchende Menschen die Kirche und viele Frauen und Männer suchen jetzt nach lebensnotwendigen Reformen.
  • Hier und Jetzt findet ein altbekannter Hass wieder seinen Weg in die Politik und Menschen ringen jetzt um Verständnis und Offenheit um die in unserer Hymne besungene Einigkeit zu fördern.

Das Hier und Jetzt ist der Ort, an dem ich die Zeichen der Zeit finde, Spuren, die uns darauf hinweisen, wohin die Reise führt: Zur Klimakatastrophe, zur toten Kirche, zu einem Hassregime – all das sind Ziele, zu denen ich nicht will. Wegschauen und weiterlaufen würde mich genau dorthin bringen.

Mein Mitbruder wird an jenem Tag spät in der Nacht sterben. Als sich das Jetzt und die Stunde seines Todes begegneten, war alles erfüllt von tiefem Frieden. Die Erinnerung daran ermutigt mich, das Jetzt als den wertvollen Moment anzunehmen, in dem Entwicklung und Veränderung beginnt.


Der Blick zurück, der Blick nach vorne, und der Blick nach innen.
Franziskaner kommentieren, was wichtig ist.
Immer freitags auf franziskaner.de


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