Von Bruder Helmut Schlegel ofm und Ricarda Moufang (Zentrum für christliche Meditation und Spiritualität, Frankfurt)

Das Wunder, dass ich denken kann

Schöpfung: Wer staunt, fängt an zu glauben …

Wir laden Sie zu vier Schritten ein: staunen – hören – glauben – tun.

Nachdenken und den tieferen Sinn erkennen. Bild von Lisa Spreckelmeyer / pixelio.de
Nachdenken und den tieferen Sinn erkennen. Bild von Lisa Spreckelmeyer / pixelio.de

staunen

Das Denken ist eine unserer Hauptaktivitäten. Von morgens bis abends, zu jeder Stunde, in jedem Moment – »ich denke, also bin ich«, wie der französische Philosoph René Descartes im 17. Jahrhundert schrieb. Meine Gedanken sind ein endloser Strom. Viele davon sind lebensnotwendig, andere laufen unbewusst ab, bei vielen alltäglichen Abläufen.

Was ist ein Gedanke? Die Hirnforschung weiß zwar inzwischen, was beim Denken passiert: Die Synapsen – die Schaltstellen zwischen den Zellen – im Gehirn feuern dann bestimmte chemische Substanzen. Aber was ein Gedanke ist, kann niemand erklären.
Denken. Gedanken. Der Mensch kann denken, Verbindungen herstellen, Schlüsse ziehen. Er kann kombinieren, Verbrechen aufklären, Verbrechen planen. Er kann sich wunderbare und furchtbare Sachen ausdenken. Gedanken können auch zu Hirngespinsten werden – ich kann mir eine Welt aus Gedanken zurechtzimmern, in der ich mich verliere.

Denken, das klingt vor allem nach Logik und Struktur. Dafür ist aber nur die eine Gehirnhälfte zuständig. Bei der Kreativität kommt die andere Gehirnhälfte hinzu, die mit Formen, Farben und Intuition für die Kreativität unerlässlich ist.
Denken und Geist sind nicht dasselbe. Nicht jeder Gedanke ist geist-reich, nicht alles Denken ist tiefgründiges Nachdenken. Und doch berührt und inspiriert Gottes Geist mein Denken.

Zuletzt: Die Gedanken sind frei. Niemand – außer Gott – kennt meine Gedanken. Niemand – auch Gott nicht – kann mir vorschreiben, was ich zu denken habe. Das ist vielleicht das größte Wunder des Denkens.

hören

Er (Gott) bildete ihnen Mund und Zunge, Auge und Ohr und ein Herz zum Denken gab er ihnen. Mit kluger Einsicht erfüllte er sie und lehrte sie, Gutes und Böses zu erkennen. Er hat ihnen Weisheit geschenkt und ihnen das Leben spendende Gesetz gegeben. (Sir 17,6.7.11)

glauben

Wie gut, dass niemand
hinter meine Stirnwand schauen kann.
Wie gut, dass niemand
meine Gedanken lesen kann.
Dieses Privatgelände in meinem Geist
will ich mir bewahren.
Dieses Feld, wo neben den bunten
und fruchtbaren Gedankengewächsen
eben auch die nutzlosen
und stacheligen Unkrautgedanken wachsen.
Ich bin ziemlich sicher, Gott,
dass gerade du dies respektierst
und nicht mit dem Blick des Unkrautjäters
durch meinen Gedankengarten streifst.
Von dir, Jesus, höre ich, dass ich warten soll bis zur Ernte
und dass dann in großer Heiterkeit und Barmherzigkeit
das Kraut geerntet und das Unkraut verbrannt wird.

tun

Anstatt unsere Gedanken zu unterdrücken, sollten wir sie anschauen und unterscheiden, welche hilfreich und wichtig sind und welche nicht.
In der Meditation gilt die Regel, Gedanken wie Wolken ziehen lassen. Sie werden nicht stören, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf den Atem und damit auf Gott richten.

Gedanken können zu Gebeten werden: die Menschen, an die ich denke, die Sorgen, die mich belasten, die Pläne, die ich mache – sie werden zum Gebet, wenn ich sie, so wie sie sind, vor Gott ausbreite.

 

Erstveröffentlichung Zeitschrift „Franziskaner“ Herbst 2014