13.04.2021 Damian Bieger ofm und Bernd Schmies / Fachstelle für Franziskanische Forschung

Ein fiktiver Dialog über acht Jahrhunderte hinweg

Geschichte der Franziskaner in Deutschland

    Chronik des Jordan von Giano von 1220. In dieser Handschrift hat der Franziskaner seine Erfahrungen und Erlebnisse niedergeschrieben. Bild von Archiv Badische Landesbibliothek

Zwei Minderbrüder unterhalten sich über ihre Erfahrungen als Franziskaner in Deutschland. Sie trennen 800 Jahre, sie verbinden ihr franziskanisches Charisma und ihre Zugehörigkeit zur gleichen Bruderschaft. Bruder Jordan kam 1221 zu Fuß aus Umbrien über die Alpen, Bruder Johannes lebt 2021 in einem Konvent der Deutschen Franziskanerprovinz.

Br. Johannes: Grüss Gott! Kennen wir uns? Du siehst aus wie ein Franziskaner, trägst eine zerschlissene und in die Jahre gekommene wollene Kutte mit Kapuze und einen Gürtelstrick! – Wie heißt Du?

Br. Jordan: Jordan ist mein Name, und ich bin Minderbrüder. Ich stamme aus Umbrien, genauer gesagt aus Giano im Spoletotal. Dort habe ich als junger Mann Franziskus von Assisi und seine Bruderschaft kennengelernt. Sie zogen durch unser Tal und predigten auf den Plätzen unserer Städte die frohe Botschaft des Evangeliums. Sie wollten nicht nur über das Evangelium reden, sondern so leben wie Jesus und seine Jünger: ohne Besitz und Bleibe mitten unter den Menschen.

Mich haben sie begeistert und neugierig gemacht. So bin ich mit ihnen gezogen. Und wer bist Du? Du trägst Straßenkleidung und ein Taukreuz! Das erinnert mich an die Briefe, die Franziskus unterschrieb. Kennst Du ihn auch?

Und ob! Ich heiße Johannes und bin aus der Franziskanerprovinz von der heiligen Elisabeth! Aber bist Du nicht der Bruder, der den Bericht geschrieben hat, wie die Franziskaner nach Deutschland gekommen sind?

Ja, der bin ich. Als Franziskus auf dem Generalkapitel 1221 fragte, wer von uns Brüdern nach Deutschland gehen würde, hatte ich zunächst große Angst davor. Die Brüder, die es zwei Jahre zuvor versucht hatten, waren von den Leuten schlecht behandelt worden. Da sie die deutsche Sprache nicht beherrschten, haben sie die Menschen nicht verstanden und die sie auch nicht. So kehrten sie mit blauen Flecken und frustriert zurück.

Doch schließlich war mein Glaube und – zugegeben – meine Neugierde auf das Fremde größer als meine Angst vor den Deutschen. So bin ich als Franziskaner nach Deutschland gekommen und habe dort mehr als die Hälfte meines Lebens verbracht. Über meine Erlebnisse in dieser Zeit und wie wir schließlich die Deutschen für uns gewinnen konnten, haben mich die jüngeren Brüder oft ausgefragt. Nach dem Provinzkapitel in Halberstadt 1262 hat unser Provinzial, Bruder Bartholomäus, mich aufgefordert: Erzähl noch mal alles Bruder Balduin, und der hat es dann aufgeschrieben.

Aber kannst Du mir sagen, wie es eigentlich danach weitergegangen ist?

Das ist eine lange Geschichte. Allein in den letzten 100 Jahren ist ziemlich viel passiert! Mit Euch Brüdern vom Anfang verbindet uns die Begeisterung für Franziskus und die Ordensregel, auf die wir bis heute unsere Gelübde ablegen. Nur: Die Welt, in der wir heute leben, hat sich in vielerlei Hinsicht stark verändert. Manches aus Eurer Zeit, dem 13. Jahrhundert, muss deshalb in die Welt des 21. Jahrhunderts übersetzt werden. So haben wir gelernt, dass der Versuch, die Ordensregel buchstabengetreu zu leben, nicht funktioniert! Die Regel verbietet zum Beispiel das Reiten auf einem Pferd. Das hat heute jedoch eine ganz andere Bedeutung. Aber
ob wir unserer Mutter Erde zuliebe auf die PS, d. h. Pferdestarken, von durch Verbrennungsmotoren betriebenen Fahrzeugen verzichten sollten, ist dagegen eine ernsthafte Frage. Deshalb gibt es seit 1987 neue Generalkonstitutionen, die uns neue Zugange zur Ordensregel eröffnen sollen. Da heißt es beispielsweise: Wir sollen nicht für uns selber leben, sondern zu allen Menschen die gleiche brüderliche Gemeinschaft suchen, die wir untereinander pflegen.

Wir haben die Herausforderungen beim Leben nach dem Evangelium damals immer gemeinsam beraten! Regeln und Gesetze waren dem Bruder, so nannten wir Franziskus, nicht so wichtig, auch wenn er wohl eingesehen hat, dass es komplett ohne auch nicht geht! Er hat auf das Gespräch gesetzt. Und da wurde es miteinander immer ziemlich konkret! Wie läuft das heute bei euch?

Wir machen das immer noch so! Wie ihr damals auf den Pfingstkapiteln haben wir deutschen Franziskaner vor ein paar Jahren miteinander beraten, wie wir als Franziskaner heute leben und arbeiten wollen.

Daraus sind zwölf Leitsatze entstanden; ein wenig wie damals bei Euch die ersten Regeln. Da geht es um unsere Lebensform, die Spiritualität, die Gemeinschaft, den Lebensstil, den Charakter franziskanischen Wirkens und noch einiges mehr.

Mir persönlich gefällt besonders der Leitsatz: „Die Aufmerksamkeit und das Wirken von uns Brüdern gilt Menschen, die auf der Suche nach Sinn, Geborgenheit und Gott sind. Niemand wird ausgeschlossen. Das Spezifische des franziskanischen Wirkens ist, dass die Ausgeschlossenen und Menschen, für die in der Kirche kein Platz ist, in den Mittelpunkt gerückt werden.“

Du hast vorhin von Eurem Aufbruch nach Deutschland erzählt. Wie genau ist es Euch denn gelungen, Eure Angst zu überwinden?

Wie zwei Jahre zuvor sind wir einfach losgegangen; natürlich mit der Ungewissheit, ob uns diesmal die Menschen mit unserer Art zu glauben und zu leben akzeptieren würden. Davon hing es ja ab, ob sie uns ernähren und unterbringen würden. Trotzdem sind wir 25 Bruder im Herbst 1221 losgezogen, einfach weil wir überzeugt waren, dass es unsere Aufgabe ist, das Evangelium wirklich allen Menschen zu bringen, wie es Bruder Franziskus uns vorgemacht hat.

Im Unterschied zum ersten Versuch hat uns Franziskus mit Cäsar von Speyer diesmal einen Provinzial für Deutschland ausgesucht, der nicht nur uns, sondern auch die Deutschen verstand. Er hatte einen Plan, wie wir Fremdlinge und Habenichtse am besten die Leute erreichen konnten. Wir haben uns immer zuerst den Bischöfen vorgestellt und sie um Erlaubnis gebeten, in ihrem Bistum predigen zu dürfen. Das hat meistens gut funktioniert, zumal einige Bischofe Bruder Cäsar bereits kannten und ihm vertrauten. So war es in Augsburg, unserem ersten Aufenthaltsort, wo wir mit inzwischen 31 Brüdern ein erstes Provinzkapitel abhielten. Danach ging es noch im ersten Jahr in kleinen Gruppen weiter: nach Regensburg, Würzburg, Straßburg, Speyer, Worms, Mainz und bis nach Köln. Als Papst Honorius III. 1223 unsere Ordensregel bestätigte, hatten wir gerade Hildesheim, Goslar, Braunschweig, Halberstadt und Magdeburg erreicht. Kurz und gut: Es war der Beginn einer sehr dynamischen Zeit.

Eine Begleiterin der ersten Brüder auf deutschem Boden war die heilige Elisabeth von Thüringen. Altarstatue aus der Patreskirche in Wiedenbrück.

Mir ist aufgefallen, dass im Namen Deiner Provinz „Elisabeth“ vorkommt. Ist das „die“ von der Wartburg? Das war ja zu unserer Zeit ein großer Skandal! Sie war für uns und wie wir, war aber keine von uns!

Wie meinst Du das?

Das lässt sich mit einem Wort sagen: Bewegung. Bei uns war alles in Bewegung. Und zwar schon seit über 150 Jahren. Da spielte alles Mögliche mit hinein: Kreuzzugsbewegung, Armutsbewegung und Laienbewegung. Wer da für oder gegen etwas war, lies sich für uns Zeitgenossen mitunter schwer auseinanderhalten.

Viele Männer und Frauen wollten arm wie Jesus leben, lasen selbstständig im Evangelium und wollten in kein Schema des bisher in der Kirche üblichen Lebensstils passen oder eingepasst werden. Elisabeth war eine von ihnen. Sie kam ursprünglich als Königstochter wegen ihrer Heirat aus Ungarn und hatte große Sympathie für uns. Aber das ist eine eigene Geschichte!

Das ganze Durcheinander war auch einer der Gründe, warum auch wir selber am Anfang verprügelt worden waren. Wir waren schlicht und ergreifend äußerlich nicht von denen zu unterscheiden, die sich gegen die Kirche gestellt hatten. Der Bruder hatte deswegen große Sorgen und setzte sich deutlich von allen ab, die nicht katholisch sein wollten.

Auch wir wollen katholisch sein! Aber wie bei Euch wird damit inhaltlich und kulturell eine ziemlich große Spannbreite abgedeckt, was auch mit ganz verschiedenen Herkünften und Erfahrungen zu tun hat. So gibt es bei uns viele regionale landsmannschaftliche Verwurzelungen: Bayern, Schwaben, Hessen, Oldenburger, Rheinländer, Westfalen etc… Es gibt Brüder, die in ihrer Kindheit Flucht und Vertreibung erlebt haben, und einige jüngere Bruder mit Migrationshintergrund, die als Kinder oder Jugendliche aus ihrer Heimat – Russland, Polen, Vietnam, Brasilien – nach Deutschland gekommen sind, und jene, die in ihren Heimatländern schon Franziskaner waren und sich für eine Mitgliedschaft in der Deutschen Provinz entschieden haben.

Und was ist mit den anderen Menschen, die in der Nachfolge des Franziskus vom Evangelium begeistert sind?

Bei uns heißt das heute „Franziskanische Familie“. Klar, da gibt es die Brüder. Aber wir hatten in 800 Jahren ziemlich viele Gelegenheiten uns darüber zu zerstreiten, wie die Regel des Franziskus, das Evangelium zu leben, richtig ausgelegt werden soll. Das hat zu einer Fülle von Untergruppen geführt. Vor rund 125 Jahren hat Papst Leo XIII. ein Machtwort gesprochen. Jetzt gibt es nur noch drei franziskanische Männerorden, in die die verschiedenen Reformgruppen eingeflossen sind: Franziskaner (OFM), Franziskanerkonventualen (OFMConv) und Kapuziner (OFMCap). Die Töchter der heiligen Klara (OSC) gehören selbstverständlich auch mit zur Familie.

Dazu kommen die Frauen und Männer, die ihre franziskanische Berufung in ihren Familien leben. Heute heißen sie „Franziskanische Gemeinschaft“ oder auch „Dritter Orden“(OFS).

Schließlich gibt es bis auf den heutigen Tag Schwestern und Brüder, die sich für ein Ordensleben in der Geistigkeit des Franziskus entscheiden; manche auch unter einem bestimmten Stiftungszweck. Gerade im 19. Jahrhundert war das für Frauen ein echtes Zukunftsmodell für Emanzipation! Als im Jahr 1934 jemand nachgezählt hat, ist er auf rund 400 franziskanische Frauenkongregationen mit ungefähr 6.000 Niederlassungen und 80.000 Mitgliedern weltweit gekommen. Heute bauen die Schwestern angesichts ausbleibenden Nachwuchses ihre Institutionen zurück und versuchen eine Neuausrichtung. Gleichzeitig sind sie ganz vorne mit dabei in der Bewegung für eine neue Rolle der Frau in Kirche und Gesellschaft.


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