Natanael Ganter ofm

Hüter Heiliger Stätten

800 Jahre Franziskaner im Heiligen Land

Ein Schmelztiegel franziskanischer Präsenz ist die Grabeskirche in Jerusalem. Sie beherbergt das Grab Christi und die Golgothakapelle. Bild von Custodia di Terra Sancta.

Im Jahr 2017 feierten die Franziskaner ihre 800-jährige Präsenz im Heiligen Land. Bereits zu Lebzeiten des Heiligen Franziskus wurden 1217 die ersten Brüder ausgesandt, um von der Kreuzfahrerbastion Akko aus eine Ordensprovinz mit mehreren Niederlassungen aufzubauen.

Pater Raynald Wagner.
Bild von Archiv Deutsche Franziskanerprovinz.

Im Interview erklärt uns der Franziskaner Raynald Wagner (82), wie es dazu kam, dass die Franziskaner zu den Hütern der Heiligen Stätten wurden, und welche Rolle sie bis heute für die Förderung von Frieden und Dialog im Nahen Osten spielen. Pater Raynald – seit mehreren Jahrzehnten ein Kenner des Heiligen Landes – hat viele Pilgergruppen nach Jerusalem und zum See Genezareth begleitet und als verantwortlicher Redakteur mehr als 130 Ausgaben der Zeitschrift „Im Land des Herrn“ betreut.

Pater Raynald, wie kam es dazu, dass die Franziskaner bereits während der Gründungszeit des Ordens ins Heilige Land gegangen sind?

Der heilige Franziskus hat in seiner Spiritualität die menschliche Seite Jesu immer besonders hervorgehoben. Dafür ist Greccio ein schönes Beispiel, wo Franziskus das Ereignis der Geburt Jesu nachstellte. Gerade in dieser Geschichte kommt zum Ausdruck, dass er eigentlich gerne in Bethlehem dabei gewesen wäre, um das Geschehen „mitzuerleben“. Wo könnte man auch dem konkreten und lebendigen Jesus besser nachspüren als an den originalen Schauplätzen? Die Liebe zum Heiligen Land gehört zum franziskanischen Wesen.

War Franziskus selbst im Heiligen Land?

Das Heilige Land ist mehr als nur die Wegstrecke vom See Genezareth bis nach Jerusalem. Das Heilige Land umfasst die ganze Region um Israel und Palästina, Syrien, Ägypten, die Türkei und den Libanon.

Historisch gesichert ist, dass Franziskus beim fünften Kreuzzug in Damiette dabei war. Das liegt im heutigen Ägypten. Er war auch sicher in Akko (heute im Norden des Staates Israel). Aber an den Heiligen Stätten selbst wird er wohl nicht gewesen sein, denn in dieser Zeit war dieses Gebiet in muslimischer Hand. Es bestand zudem ein päpstliches Embargo gegen die Besatzer Jerusalems. Daher war es Christen unter Strafe der Exkommunikation verboten, dorthin zu pilgern. Daran hat sich Franziskus mit Sicherheit gehalten.

Bis wann galt der päpstliche Bann? Und hat dieser die Pläne der Provinzgründung gestört?

Plakat zum 800. Jubiläum der Franziskaner im Heiligen Land. Bild von Custodia di Terra Sancta.

Die Situation hat sich geändert, als Kaiser Friedrich II. involviert wurde. Ihm war es gelungen, ohne Waffengewalt einen Vertrag mit den Muslimen auszuhandeln, damit Jerusalem wieder für Christen zugänglich wird. Seit dem Jahr 1229 gab es dann bereits eine „inoffizielle“ Präsenz der Franziskaner in der Grabeskirche. Bis zu offiziellen Klostergründungen sollte es allerdings noch gut 100 Jahre dauern. Im Jahr 1342 bestätigte Papst Clemens VI. mit einer Bulle, dass die Franziskaner rechtmäßig die Anliegen der römisch-katholischen Kirche im Heiligen Land vertreten und Kustoden (Hüter) der Heiligen Stätten sind. Auf diese Bulle bezieht sich auch das jüngste Schreiben von Papst Franziskus, indem er diesen Auftrag erneuert. Wenn wir im Jahr 2017 das 800. Jubiläum gefeiert haben, dann haben wir also die Grundsteinlegung und nicht das Richtfest gefeiert.

Wie war es möglich, dass die franziskanische Präsenz trotz zahlreicher Kriege und Machtwechsel bis heute andauert?

Die Franziskaner haben über 800 Jahre im Heiligen Land ausgeharrt – selbst unter schwierigsten Verhältnissen –, weil sie eine innere Sympathie und Liebe zum Heiligen Land hatten, dem „fünften Evangelium“. Ihre Präsenz im Heiligen Land haben die Franziskaner immer als ihren Missionsauftrag betrachtet, und die Kustodie gilt ja auch als die Perle unter den Missionen. „Die Mission unter den Sarazenen“ ist Teil unserer Ordensregel.

Im Gegensatz zu den Kreuzfahrern haben die Franziskaner die Muslime nicht bekämpft, sondern sie als Menschen, als Mitgeschöpfe angesehen. Der Besuch von Franziskus beim Sultan im Jahr 1219 zeugt bereits von einem hohen Respekt für die Muslime. Von dort hat Franziskus beispielsweise auch die Idee des Glockenläutens zum Angelus mitgenommen.

Teilweise wurde dieses Wohlwollen erwidert. In Nazareth gab es zum Beispiel die Unterstützung durch einen Drusenfürsten, der den Franziskanern Land schenkte. Meist herrschte jedoch eher Misstrauen als Freundschaft. Die Franziskaner wurden zwar geduldet, aber wenn zum Beispiel die christlichen Venezianer eine Schlacht gegen die Muslime gewannen, mussten das die Franziskaner durch Repressionen ausbaden. Die Situation war abhängig vom Wohlwollen des jeweiligen Herrschers. Heute genießen die Franziskaner im Heiligen Land ein hohes Ansehen, doch die Situation bleibt schwierig.

Wie kommt es, dass die Kustodie heute noch zahlreiche Staaten mit völlig unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnissen umfasst?

Die Kustodie des Heiligen Landes ist keine politische, sondern eine ideologische Größe, weil es biblisches Land ist. Nach dem Ersten Weltkrieg zerfiel das Osmanische Reich und Nationalstaaten bildeten sich. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand der Staat Israel mitten in der arabischen Welt. Bis heute ist noch alles im Fluss, wie man am Beispiel Syriens sehen kann. Beim Krieg in Syrien ist es sogar von Vorteil, dass Syrien keine eigene Provinz ist. So können die Franziskaner dort von Jerusalem und anderen Teilen der Kustodie aus unterstützt werden.

Die Kustodie ist die franziskanische Ordensprovinz mit der internationalsten Zusammensetzung. Brüder aus den unterschiedlichsten Weltregionen leben hier zusammen mit mittlerweile vielen Franziskanern, die aus der Region selbst stammen. Aus Sicht der Generalkonstitutionen des Ordens sind alle Provinzen auf der ganzen Welt gemeinsam für eine ausreichende franziskanische Präsenz im Heiligen Land verantwortlich.

Worin bestehen heute die Aufgaben und Projekte der Franziskaner?

Prozession der Franziskaner zum Heiligen Grab Christi.
Bild von Custodia di Terra Sancta.

Hauptaufgabe der Franziskaner ist es, Hüter der rund 50 Heiligen Stätten zu sein und sich um die christlichen Gläubigen zu kümmern. Das ist eine große Herausforderung, denn wenn die Franziskaner nicht wären, gäbe es keine Möglichkeit für Christen, dort ungestört zu beten und Gottesdienste zu feiern. Die Heiligtümer müssen zudem baulich erhalten und restauriert oder archäologisch erforscht werden – eine Zeit lang galten Franziskaner als führende Archäologen im Heiligen Land! Hinzu kommt die Bereitstellung und Versorgung der Pilgerherbergen.

Die zweite große Aufgabe ist die Betreuung der einheimischen, größtenteils arabischen, Christen. Insgesamt 29 Pfarreien werden von Franziskanern betreut.

Dazu kommen die Bildungseinrichtungen: Vom Kindergarten bis zum Abitur besuchen christliche wie muslimische Kinder und Jugendliche franziskanische Schulen – eine ganz wichtige Friedensarbeit. Hinzu kommen wissenschaftliche Einrichtungen wie das Bibelinstitut in der Flagellatio, das einen sehr guten Ruf genießt.

Kann die Ordensgemeinschaft heute und in Zukunft ihrem Friedensauftrag in einer Region mit zahlreichen unterschiedlichen Kriegen und Konflikten noch weiterhin nachkommen?

Der Kustos, der Leiter unserer Präsenz im Heiligen Land, ist meist ein guter Diplomat, der mit viel Geschick und Einfühlungsvermögen agiert und von israelischer und auch von arabischer Seite als eine politische Stimme des Friedens respektiert wird. Gemeinsam mit den anderen Patriarchen nimmt er Stellung zu aktuellen Entwicklungen und den Konflikten in der Region.

Konkret zahlt sich hier besonders unser Engagement an den Schulen aus, die zu einem Frieden fördernden Dialog beitragen. Ich selbst habe das schon in Bethlehem miterlebt, wo Muslime und Christen gemeinsam mit ihren Familien die bestandene Abschlussprüfung feierten. In den Schulen bilden sich Freundschaften fürs Leben, über religiöse und nationale Grenzen hinweg.

Erstveröffentlichung Zeitschrift Franziskaner / Winter 2017


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