06.06.2023 Johannes Netter

„Als wäre es erst gestern gewesen …“ Ehemaligentreffen 2023

Liest man den Anfang des 2. Kapitels der Apostelgeschichte, wo berichtet wird, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen und sich komplikationslos verstehen, könnte man den Eindruck gewinnen, der Autor berichtet – mutatis mutandis – vom Ehemaligentreffen auf dem Frauenberg in Fulda im Juni 2023.

Wahrscheinlich kennt jeder die Situation, man hat Bekannte, Freunde, die man gerne mag, aber selten sieht, weil sie zu weit weg wohnen und jeder in seinem Alltag bis über beide Ohren eingespannt ist. Trifft man sich nach Jahren wieder, bedarf es keines Warmwerdens und vorsichtigen Annäherns, man ist sich nahe, als ob man sich gestern erst getroffen hätte. – Das war die Atmosphäre vom 2. bis 4. Juni 2023 beim Wiedersehen nach pandemiebedingt fünf und nicht wie ursprünglich geplant drei Jahren. Man kann den Brüdern Johannes und Maximilian gar nicht genug danken, dass sie dieses Treffen wieder ermöglicht und gestaltet haben.

 

Gruppenbild des Ehemaligentreffen 2023 auf dem Frauenberg in Fulda

Wie notwendig und heilsam es für die meisten von uns war, haben die verschiedenen Gesprächsrunden gezeigt. Deutlich geworden ist dabei, dass man mit dem Ablegen des Habits das Franziskanische nicht ausgezogen hat. Die meisten sind ja in jungen Jahren, in der vitalsten Lebensphase (manche sagen, in den besten Jahren ihres Lebens), wenn man sich für einen Beruf und Lebensweg entscheidet, in den Orden eingetreten, mit Überzeugung und großem Elan. Die Prägung dieser Jahre legt man nicht einfach so ab, die verliert man nicht mehr. Es ist ein Teil der Biografie, aus dem das Gefühl der Zugehörigkeit erwächst. Die Brüder, mit denen wir an diesem Wochenende zusammen sein durften, haben uns dieses Gefühl, irgendwie immer noch dazuzugehören, eindringlich vermittelt. Das begann schon beim gemeinsamen Chorgebet. Soweit Gläubige in der Kirche waren, werden sie sich gewundert haben, bei der Laudes und der Vesper eine vielstimmige, gewaltige Männerrezitation der Psalmen vernommen zu haben. Das Chorgestühl war besetzt – man ist fast versucht zu sagen – wie in der guten alten Zeit. Mancher hat „seinen Platz“ wieder eingenommen.

In der guten alten Zeit? Der Provinzial, Bruder Markus, der sich über mangelnde Arbeit ganz gewiss nicht zu beklagen hat, war trotzdem das ganze Wochenende bei uns, wofür wir ihm alle sehr dankbar sind, und hat uns das Positionspapier des Provinzkapitels 2022 vorgestellt. Die Diskussion darüber in kleinen Gruppen hat gezeigt, dass nicht wenige über den Punkt „geschwisterliche Kirche“ gestolpert sind.

Muss man nicht das, wofür man sich positioniert, selbst leben? In den Gesprächen ist immer mehr deutlich geworden, dass viele zwiespältige Gefühle an ihre Zeit im Orden haben. In manchen Klöstern haben sie eine schmerzhafte klerikale Hierarchie erlebt, eine Zweiklassengesellschaft, hier die Geweihten, dort die Laienbrüder, hier oben und dort unten. Auch das Noviziat und Juniorat haben viele als minderwertigen Status erlebt und sehr darunter gelitten. Natürlich gab es auch andere Mitbrüder, die den Begriff Mitbruder gelebt haben, bei denen Wort und Tat übereinstimmten. Aber ist es deshalb gut und sinnvoll, dort, wo Reden und Tun sich diametral widersprachen, den Mantel des Schweigens darüber zu breiten? Die Kirche erlebt gerade an der Bewältigung des sexuellen Missbrauchs, wie notwendig es ist, dass man, will man positiv nach vorn schauen, zuerst das Vergangene aufarbeiten muss. Will man sich programmatisch für eine geschwisterliche Kirche positionieren, was zutiefst franziskanisch ist, wird man nicht umhinkommen, einen Blick zurückzuwerfen, nicht Jahrhunderte, sondern Jahrzehnte, damit sich der Spruch „Papier ist geduldig“ nicht bewahrheitet, sondern die einzelnen Punkte des Positionspapiers Schritt für Schritt Wirklichkeit werden.

Dass das möglich ist, haben wir erfahren am Sonntag beim gemeinsamen Abschlussgottesdienst, nicht in der Kirche, wo man sich in der Größe des Raumes verliert, sondern im Refektorium. Die Stühle, auf denen wir saßen, waren im Oval um den Altar, einen einfachen Tisch, gruppiert. Markus hat mit seinen einleitenden Worten, dass wir uns im Refektorium treffen, wo wir miteinander essen, diskutieren, Rekreation halten und jetzt auch Eucharistie feiern, eine Atmosphäre geschaffen, die die Communio für alle hat spürbar, greifbar werden lassen. Es war ein gemeinsames Mahl von einer selten erlebten Tiefe und Dichte. Man glaubte zu spüren, dass die Worte des Herrn „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ eins zu eins umgesetzt wurden.

Als wir uns nach dem gemeinsamen Mittagessen verabschiedeten, taten wir es mit einem Schuss Wehmut, einem Füllhorn Dankbarkeit und in vorfreudiger Erwartung eines Wiedersehens in drei Jahren.


Ein Kommentar zu “„Als wäre es erst gestern gewesen …“ Ehemaligentreffen 2023

  1. Herzlichen Dank an Johannes, der diesen Bericht geschrieben hat. Und ein grosser Dank geht auch an die Brüder, die das Treffen organisiert haben und an die Provinz, die diese Treffen mitträgt.

    Es wäre wünschenswert, wenn sich die Provinzleitung, ja, die gesamte Ordensleitung einmal damit auseinandersetzen würde, WARUM Brüder den Orden verlassen haben. Welche tiefen Verletzungen zum Teil dahinter stecken, die bis heute in den ehemaligen Mitbrüdern wirken. Es sind ja nicht nur gedankliche Erinnerungen an etwas Vergangenes, sondern es sind tiefgehende Wunden durch Worte und Taten von Brüdern gesetzt worden, die sich völlig konträr zu dem Verhalten haben, was Franziskus vorgelebt und in seinen Regeln geschrieben hat. Und da die franziskanische Familie gerade das grosse Jubiläum der bullierten Ordensregel feiert, wäre eine Auseinandersetzung mit dem regelwidrigen Handeln vieler Brüdergenerationen durchaus angebracht. Es ist zu hoffen, dass hier die Angst vor dem offenen Eingestehen von Fehlern eine ehrliche Betrachtung und ein Eingeständnis des Fehlverhaltens nicht verhindert.

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