Das Bild vom Islam ist bei vielen mit Gewalt verbunden. Die zahllosen Terroranschläge, die im Namen des Islam verübt werden, prägen die Einstellung zu dieser Religion und erschweren den interreligiösen Dialog. Um es gleich vorwegzunehmen: „… in dem Augenblick, in dem wir zwischen dem Islam als einer in sich plural verfassten Religion und der Ideologie des Islamismus nicht unterscheiden, übernehmen wir die Weltsicht jener, deren Wahrheit wir ablehnen. Wir schreiben den Islam auf eine bestimmte Lesart fest. Das ist selbst eine Gewalttat und vor allem theologisch nicht begründbar“, so der islamische Theologe Ahmed Milad Karimi. Es ist schade, dass es Menschen – vereinzelt auch aus unserem Leserkreis – gibt, die mit ihrem Standpunkt – „Ich will aber, dass Deutschland christlich bleibt“ – jedweden Kontakt mit Muslimen ablehnen, die sich aus Angst vor Überfremdung auf keinerlei Diskussion über die Frage nach einem friedlichen Zusammenleben der verschiedenen Religionen einlassen. Dann passiert genau das, worauf Karimi hinweist: Muslime werden auf ein bestimmtes Klischee reduziert, der Islam auf eine bestimmte Lesart festgelegt und es wird unbewusst die Weltsicht derer übernommen, deren Wahrheit eigentlich abgelehnt wird.
Islam ist nicht Islamismus
2019 beging die Franziskanische Familie ein Jubiläum, das einen Akzent setzen konnte für den Dialog zwischen Christen und Muslimen. Vor 800 Jahren ist Franz von Assisi Sultan Malik al-Kāmil, einem Neffen des berühmten Saladin, in Damiette in Ägypten begegnet. Das Jahr 1219 fiel in die Zeit des fünften Kreuzzugs, den Papst Innozenz III. im Jahr 1213 ausgerufen hatte. Der Versuch der Kreuzfahrer, Jerusalem auf direktem Weg einzunehmen und die sich seit 1187 in muslimischen Händen befindlichen heiligen Stätten wieder für die christlichen Pilger zugänglich zu machen, scheiterte. Die Kreuzfahrer zogen daher nach Ägypten und belagerten 18 Monate lang die Hafenstadt Damiette. Im Sommer traf auch Franziskus im Lager der Christen ein und war schockiert über die dortigen Zustände von Gewalt und Elend. Wohl wissend um die Gefahr des Martyriums unternahm Franziskus zusammen mit Bruder Illuminatus seine „Friedensmission“ und begab sich während eines Waffenstillstands im September 1219 zum Sultan. Insgesamt 26 Quellen bestätigen die Historizität dieser Begegnung. Allerdings wissen wir nichts Sicheres über den Ablauf und die Inhalte des Gesprächs. Als zeitnaher Zeuge berichtet zuerst Jakob von Vitry, seines Zeichens Bischof von Akkon, in einem Brief an Papst Honorius II. vom Frühjahr 1220, dass Franziskus während mehrerer Tage den Sarazenen (so wurden die Muslime damals genannt) das Wort Gottes predigte, aber nur wenig ausrichtete. „Doch der Sultan, der König von Ägypten, bat ihn insgeheim, für ihn beim Herrn zu beten, damit er auf göttliche Erleuchtung hin derjenigen Religion anhangen könne, die Gott mehr gefalle.“
Dialog heißt auch voneinander lernen wollen
Interessant ist, dass Franziskus offensichtlich positive Erfahrungen mit den Muslimen gemacht hat. Während Papst Innozenz in seinem Aufruf zum Kreuzzug die Muslime und insbesondere den Propheten Mohammed im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt, scheint Franziskus stark beeindruckt von der Gebetsweise und der Redlichkeit der Gläubigen. Ein Nachhall findet sich in seinen Schriften, wenn er die Brüder auffordert, dass sie sich beim Beten
tief zu Boden neigen sollen. An die Lenker der Völker schreibt er einen Brief mit der Aufforderung, alle Menschen jedweder Religion abends durch ein Zeichen – ähnlich dem Ruf des Muezzins – zum Gebet aufzurufen. In späterer Zeit ist daraus auf christlicher Seite das dreimalige Angelusläuten geworden. Am Ende seines Lebens schreibt Franziskus einen Lobpreis Gottes, der an die „99 Namen Allahs“ erinnert. In die Ordensregel hat Franziskus ein eigenes Missionsstatut eingefügt, in dem die Weisen der „Missionierung“ festgeschrieben sind. Die erste und grundlegende Weise besteht darin, zunächst unter und mit den Menschen zu leben. Erst wenn die Brüder sehen und spüren, dass es passend ist – „wenn es dem Herrn gefällt“ –,folgt als die zweite Weise die Verkündigung des Glaubens.
Franziskus hat keinen interreligiösen Dialog im heutigen Sinne geführt. Sein Anliegen war es gewiss, die Sarazenen und den Sultan zum christlichen Glauben zu führen. Und doch war seine Haltung eine völlig andere als die der Kirchenoffiziellen seiner Zeit. Seine missionarische Verkündigung war stets beginnend mit dem Friedenswunsch und somit gewaltfrei. Er agierte aus der Grundhaltung des Minderbruders, der allen Menschen – selbst den Juden und Muslimen – untertan sein, das heißt dienen wollte. Franziskus trat dem Sultan in einer anderen Gesinnung entgegen als die Kreuzfahrer. Sie war geprägt von Achtung, Respekt und Ehrfurcht dem Anderen gegenüber. Seine Briefe zeigen, dass es so etwas wie eine gegenseitige Lernerfahrung gab. Er hat bestimmte Elemente der anderen Religion in seinen eigenen Glauben integriert.
Keiner hat die Wahrheit in Besitz
Ein historischer Graben von 800 Jahren lässt sich nicht einfach überbrücken und eine Situation von damals nicht 1:1 übertragen. Entscheidend für die Begegnung heute ist für Ahmed Milad Karimi, dass sowohl Christentum wie Islam dieselben Fragen haben und deshalb die Haltung wichtig ist: „Dass wir die Wahrheit nicht in Besitz haben, auch wenn wir davon überzeugt sind, dass unser eigener Weg wahr ist. Das dürfen wir zwar behaupten. Aber wenn wir so tun, als hätten wir die Wahrheit, ist der Weg bereits verstellt.“
Schon 1991 hat der Päpstliche Rat für den interreligiösen Dialog im Dokument „Dialog und Verkündigung«“ die vier Ebenen des Dialogs beschrieben:
a) Der Dialog des Lebens, in dem Menschen in einer offenen und nachbarschaftlichen Atmosphäre zusammenleben
wollen, indem sie Freud und Leid, ihre menschlichen Probleme und Beschwernisse miteinander teilen.
b) Der Dialog des Handelns, in dem Christen und Nichtchristen für eine umfassende Entwicklung und Befreiung der Menschen zusammenarbeiten.
c) Der Dialog des theologischen Austausches, in dem Spezialisten ihr Verständnis ihres jeweiligen religiösen
Erbes vertiefen und die gegenseitigen Werte zu schätzen lernen.
d) Der Dialog der religiösen Erfahrung, in dem Menschen, die in ihrer eigenen religiösen Tradition verwurzelt
sind, ihren spirituellen Reichtum teilen, zum Beispiel was Gebet und Betrachtung, Glaube und Suche nach Gott oder dem Absoluten angeht.